Bericht über die Veranstaltung „Was Sie vier Jahre lang nicht erfahren durften“ am 26. April

Am 26. April fand im Bürgerhaus Fürstenried die Veranstaltung „Was Sie vier Jahre lang nicht erfahren durften – Wir decken ein Münchner Tabuthema auf“ statt, die Klaus Ried gemeinsam mit der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe (JPDG), Salam Shalom, dem Palästina-Forum, den Frauen in Schwarz und dem Deutschen Freidenker-Verband (bzw. ihren jeweiligen Münchner Ablegern) organisiert hat. Anlass war, wie aus dem Veranstaltungsflyer hervorgeht, das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts zum Münchner Stadtratsbeschluss, der die Vermietung städtischer Räume an BDS-unterstützende Gruppen untersagte: Weil das Urteil diesen Beschluss aufhob, nutzten die Organisator*innen die Gunst der Stunde, über das herbeihalluzinierte Tabu der Israelkritik in einem städtischen Raum zu sprechen.[1] Wir waren auch vor Ort und präsentieren hier die fragwürdigen Höhepunkte der Veranstaltung.

Kurz zum Hintergrund: Klaus Ried war es, der die Klage gegen den Stadtratsbeschluss geführt hatte[2], und war sich in der Vergangenheit auch nicht zu schade, kritischen Journalist*innen gegenüber handgreiflich zu werden[3]. Die JPDG wiederum ist eine offizielle Unterstützerin von BDS Deutschland; ebenso zählen mehrere Mitglieder von Salam Shalom zu den Anhängern der israelfeindlichen Boykottbewegung.[4] Auch die Frauen in Schwarz bewerben BDS – nicht zuletzt in einem Flyer mit dem Titel „Für gerechten Frieden im Nahen Osten“, den sie bei der hier zu besprechenden Veranstaltung ausgelegt haben.[5] Es handelt sich mithin um eine Veranstaltung, die ganz offen von Anhänger*innen und Sympathisant*innen von BDS auf die Beine gestellt wurde. Warum die Boykottkampagne antisemitisch ist, haben wir bereits vor einigen Jahren in einer Broschüre ausgeführt und sparen uns hier eine Wiederholung.[6]

Zur Veranstaltung selbst: Nach einer kurzen Einführung Rieds wurde der Dokumentarfilm „Die Eiserne Mauer“ von Mohammes Alatar aus dem Jahr 2006 gezeigt[7], der sich mit den israelischen Siedlungen in der West Bank beschäftigt und dabei ein arg einseitiges Bild des Nahostkonflikts zeichnet. So legitim es ist, offenkundige Missstände der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik anzuprangern, lässt der Film jeden sachlichen und objektiven Anspruch missen, wenn er Zionismus als kolonialistisches Projekt charakterisiert, die Sicherheitsinteressen Israels hinter der Siedlungspolitik vollständig leugnet und zur Untermauerung dieser gewagten Thesen aus dem Zusammenhang gerissene Zitate zionistischer Politiker*innen und Interviewpassagen mit antizionistischen Aktivist*innen wie Jeff Halper einstreut – derselbe Halper, der an anderen Stellen Verschwörungstheorien über unsichtbare israelische Nanotechnologie, die die gesamete Erdbevölkerung gefährdete (!), verbreitet[8]. Konsequenterweise wird die Bedrohung durch arabische Staaten im Vorfeld des Sechstagekriegs 1967, der zur Besetzung der West Bank und zum Beginn der Siedlungspolitik überhaupt erst führte, ebenso verschwiegen wie die zahlreichen Terroranschläge, die diverse palästinensische Organisationen wie die Hamas, der Islamische Dschihad, die PFLP oder die DFLP Jahr für Jahr begehen. Aufgrund dieser selektiven Darstellung darf man den Film problemlos als antizionistische Propaganda bezeichnen. Als Ursache für den Konflikt werden ausschließlich die Existenz Israels und die zionistische Bewegung verantwortlich gemacht. Die Lösung des Problems wird zwar nicht ausgesprochen, läuft aber auf eine Vernichtung des jüdischen Staates hinaus.

Weiter ging es mit einem Vortrag Jürgen Jungs, der das Buch „Israels heiliger Terror“ von Livia Rokach aus dem Jahr 1980 vorstellte, eine Studie über die Tagebuchaufzeichnungen des früheren israelischen Ministerpräsidenten Mosche Sharet (Reg. 1953-1955). Dieser schloss an den Tenor des Films nathlos an: Eine arabische Bedrohung wird nicht nur verschwiegen, sondern sei immer schon (!) ein von Israel erfundener „Mythos“ gewesen, um die Ausdehnung und den Ausbau des jüdischen Staates zu legitimieren und die Unterstützung kolonialistischer Politik durch die Bevölkerung und durch westliche Staaten zu evozieren. Der Angriff arabischer Staaten 1947 und ihre Mobilmachung 1967, jeweils zum Zweck der Auslöschung Israels, werden dadurch geleugnet. Das ist Geschichtsverfälschung und nichts anderes. Wie im Film wird der Zionismus als Kolonialismus verstanden und damit zur ausschließlichen Ursache des Nahostkonflikts stilisiert. Die selektive Darstellung des Konflikts mit seiner offen israelfeindlichen Stoßrichtung setzt sich hier folglich fort.

Der Abend endete mit einer Podiumsdiskussion zwischen Fuad Hamdan, Judith Bernstein (beide JPDG) und Amir Ali von „Palästina spricht“[9], deren Berliner Ableger erst vor wenigen Tagen mit einer Demo öffentliche Aufmerksamkeit erregte, auf der u. a. Parolen wie „Intifada bis zum Sieg“, „Scheiß Jude“ und „Zionistenpresse“ (in Richtung von Journalist*innen) gerufen und der Hamas-Sprecher Abu Obeida auf arabisch gegrüßt wurden.[10] Eine Distanzierung jedweder Art ist nicht bekannt. Vielmehr ruft die Organisation aktuell zu einer Demo am 1. Mai unter dem Motto „Intifada ist unser Klassenkampf“ auf.[11] Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass die Intifada zwei  gewaltsame Aufstände gegen Israel bezeichnet, bei denen Tausende Menschen ums Leben gekommen sind.[12] Eine pazifistische Bewegung sieht anders aus.

Während Hamdan und Bernstein sich einig darin waren, dass die israelische Politik Antisemitismus fördern bzw. überhaupt erst erzeugen würde, erklärte Ali auf die Frage eines Publikums, ob es antizionistische Parteien in Deutschland gäbe, dass selbst der Antizionismus der MLPD „verwässert“ sei – dieselbe MLPD wohlbemerkt, die den deutschen BDS-Aufruf offiziell unterstützt[13] und über Verbindungen zur antisemitischen Terrororganisation PFLP verfügt[14]. Für einen Vertreter von „Palästina spricht“ scheint das alles nicht zu genügen.

Aus dem Publikum kam es immer wieder zu Zwischenrufen. Eine Frau behauptete dabei, Deutschland hätte keinen Friedensvertrag und sei von den USA besetzt, die ihrerseits Sklaven Israels sei. Diese typische Reichsbürgerposition stieß auf verhaltenen Applaus, aber auf keinen Widerspruch. Offenbar teilte zwar die Mehrheit des Saals diese Position nicht, hielt sie aber für eine legitime Meinungsäußerung. Ein junger Mann wiederum rief gegen Ende der Veranstaltung: „Wir lassen uns von den jüdischen Organisationen nicht mehr einschüchtern!“ Was genau er damit meinte, bleibt unklar. Den Zentralrat der Juden und die IKG aufgrund ihrer Bestrebungen, BDS zu verurteilen? Die jüdische Weltverschwörung aufgrund ihres Plans, die Weltherrschaft an sich zu reißen?

Wie bereits angesprochen, lagen auch mehrere Flyer aus. Die Frauen in Schwarz stellen sich in einem vor und empfehlen nicht nur die BDS-Kampagne, sondern auch gleichberechtigte Friedensgespräche zwischen allen Konfliktbeteiligten inklusive (was ausdrücklich betont wird) der Hamas.[5] Klaus Ried hat eine „Glosse“ mit dem Titel „Die Selbstverzwergung eines Stadtrats“ ausgelegt, in der er sich über den BDS-Stadtratsbeschluss lustig macht, den er als „Geschenk“ an Benjamin Netanjahu, dem früheren israelischen Ministerpräsidenten, bezeichnet. Zudem bestreitet er, dass es „in den letzten Jahren überhaupt [antisemitische] Vorfälle ernsthafter Art gegeben“ hätte.[15] Da er die Existenz eines relevanten Antisemitismusproblems dadurch bestreitet, lässt sich der BDS-Beschluss auch nicht mehr auf ernsthafte Sorgen der jüdischen Gemeinden zurückführen; dass er im Interesse der israelischen Regierung gefasst wurde, bietet sich den Antizionist*innen als Erklärung viel eher an. Stellt sich nur die Frage, welches Interesse die Stadt München verfolgt, der israelischen Regierung „Geschenke“ zu machen. Oder tut sie das, weil sie von Israel in irgendeiner Weise kontrolliert wird? Ried wirft diese Fragen, die die Lücken seiner Argumentation aufzeigen, nicht weiter auf.

Desweiteren waren mehrere Karikaturen des antizionistischen Nachrichtenmediums mondoweiss.net ausgelegt, die in der Regel einen vermeintlich doppelmoralischen Umgang der Öffentlichkeit mit Palästina und dem Ukrainekrieg anprangern.[16] Etwas perfider ist eine Zeichnung, auf der der aktuelle israelische Ministerpräsident Naftali Bennet zu sehen ist, wie er auf einem Bulldozer, der palästinensische Häuser zerstört, sitzend jüdische Flüchtlinge aus der Ukraine in ihre „Heimat“ („home“) in den „besetzten palästinensischen Territorien“ („occupied palestinian territories“) einlädt.

Die Karikatur lässt verschiedene Deutungen zu: Jüdische Flüchtlinge werden gezielt angeworben, um die Kolonialisierung der West Bank zu legitimieren; oder die Palästinenser werden umgekehrt gezielt vertrieben, um ukrainischen Jüd*innen Platz zu machen, so dass die Palästinenser*innen als eigentliche Opfer des Ukrainekriegs erscheinen. Was die Karikatur in jedem Fall deutlich kommuniziert: wenig Verständnis für die Not jüdischer Flüchtlinge aus der Ukraine und ein prinzipielles Misstrauen gegenüber dem Anspruch Israels, als Schutzraum für jüdische Verfolgte zu fungieren.

Die Veranstaltung demonstriert eindrücklich, was man (zumindest in städtischen Räumen) vier Jahre lang nicht erfahren durfte: dass Israel die Alleinverantwortung für den Nahostkonflikt trage; dass Israel für Antisemitismus verantwortlich sei; dass es ein relevantes Antisemitismusproblem gar nicht gäbe; dass Israel zu keiner Zeit von seinen arabischen Nachbarn bedroht worden sei, auch nicht 1947 oder 1967; dass man für Frieden auch mit einer antisemitischen Mörderbande wie der Hamas Gespräche führen müsse; dass es im Kampf gegen Israel unzureichend sei, eine andere antisemitische Mörderbande wie die PFLP zu unterstützen; dass Deutschland und die USA Sklaven Israels wären; dass man sich von Jüd*innen nicht mehr einschüchtern lasse. Diese Veranstaltung zeigt, wie wichtig der Stadtratsbeschluss war, um „Meinungen“ dieser Art aus öffentlichen Räumen zu verbannen. Und sie zeigt, was für ein fragwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit und Antisemitismus das Bundesverwaltungsgericht hat.

[1]

[2] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-bds-kampagne-bundesverwaltungsgericht-leipzig-urteil-1.5511733, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[3] https://www.youtube.com/watch?v=wMro3nQuQDA, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[4] https://lbga-muenchen.org/2019/12/17/ist-bds-antisemitisch-zweite-auflage/, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[5]

[6] https://lbga-muenchen.org/2019/12/17/ist-bds-antisemitisch-zweite-auflage/, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[7] online hier nachzuschauen: https://www.youtube.com/watch?v=yFk4EuZphio, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[8] https://www.mena-watch.com/jeff-halper-israel-die-vhs-und-der-weltuntergang/, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[9] https://www.bt3p.org/de/klgerinnen, , zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[10] https://www.tagesspiegel.de/berlin/pro-palaestinensische-demonstration-in-berlin-ermittlungen-wegen-landfriedensbruch-gefaehrlicher-koerperverletzung-und-volksverhetzung/28273926.html, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[11] https://www.tagesspiegel.de/berlin/pro-palaestinensische-demonstration-in-berlin-ermittlungen-wegen-landfriedensbruch-gefaehrlicher-koerperverletzung-und-volksverhetzung/28273926.html, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Intifada, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[13] http://bds-kampagne.de/aufruf/deutschlandweiter-bds-aufruf/unterstuetzende-gruppen-und-organisationen/, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

[14] https://www.ruhrbarone.de/die-verbindungen-der-mlpd-zur-palaestinensischen-terrorgruppe-pflp/, zuletzt aufgerufen am 29.04.2022.

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1 Kommentar zu „Bericht über die Veranstaltung „Was Sie vier Jahre lang nicht erfahren durften“ am 26. April

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