Am 12. Januar 2021 strahlte die ZDF-Sendung Frontal21 einen Beitrag mit dem Titel „Die Goldhändler von Degussa – AfD-Geschäfte und rechte Gesinnung“ aus.[1] Zusammengefasst handelt der Beitrag von der „Degussa Goldhandel“, einem Edelmetallhandelshaus in München, und seinen Verbindungen in die rechte Szene. Hinter dem Handelshaus steckt der Bankier August von Finck junior, der 2010 die Rechte am Degussa-Namen aufgekauft hat. Zu Recht wird im Beitrag der Zynismus der Namensverwendung für ein Goldhandelshaus kritisiert: Hatte Degussa während des Dritten Reiches doch Gold verarbeitet, das zuvor Jüd*innen gehört hatte. Im Beitrag unerwähnt bleibt darüber hinaus die entscheidende Rolle der Chemie-Abteilung von Degussa für die Herstellung von Zyklon-B, das in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern zur Tötung von Jüd*innen, aber auch von Kommunist*innen, Homosexuellen, Sinti und Roma und vielen anderen verwendet wurde.[2] Fincks gleichnamiger Vater profitierte, wie im Beitrag herausgestellt wird, ebenfalls unter dem Nationalsozialismus von der Arisierung jüdischer Unternehmen wie der Rothschild-Bank. Diese Tradition fortführend, unterstützt Finck junior seit Jahrzehnten verschiedene rechte Bewegungen, seit 2013 auch die AfD, deren Goldshop Degussa bis 2015 belieferte.
Im Beitrag wird auch der Chefökonom von Degussa Goldhandel erwähnt: Thorsten Polleit, der auch VWL-Professor an der Uni Bayreuth und Präsident des Ludwig-von-Mises-Institus in München ist.[3] Skandalisiert wird im Beitrag die Hetze Polleits gegen den Euro, durch den er die freie Gesellschaft und die Marktwirtschaft in Gefahr sieht. Verwiesen wird in dem Zusammenhang auf einen Artikel[4], der auf der Homepage des Mises-Instituts erschienen ist und der von einer Krakenkarikatur geziert wird, die im Beitrag als „Symbol einer Verschwörung“ gedeutet wird. Der Artikel wird dafür kritisiert, UNO-Beschlüsse zur nachhaltigen Entwicklung als Ausdruck von Sozialismus und einer drohenden Abschaffung des Privateigentums zu interpretieren. Was im Beitrag von Frontal21 jedoch unerwähnt bleibt, ist der Antisemitismus des Artikels.
Das beginnt bei der erwähnten Krakenkarikatur. Zu sehen ist ein Tank der Marke Standard Oil, der zu einer Krake stilisiert ist, dessen Tentakeln u. a. nach dem Kapitol und dem Weißen Haus ausgreifen. Die Zeichnung stammt aus dem Jahr 1904 und spiegelt Ängste der damaligen Bevölkerung vor der Monopolstellung des Erdölunternehmens Standard Oil wieder.[5] Gegründet wurde das Unternehmen von John D. Rockefeller, dessen legendärer Reichtum maßgeblich auf den Ölhandel zurückgeführt wird.[6] Als genuin antisemitisch wird man diese Karikatur aufgrund ihres Entstehungszeitpunktes und der Fixierung auf die nicht-jüdische Rockefeller-Familie nicht bezeichnen können, doch ist ihr Verwendungskontext für eine angemessene Bewertung zu berücksichtigen. Die Krake als Symbol für Machtkonzentration, Verschwörung und Unterwerfung ist seit ihrer Verwendung für Jüd*innen in nationalsozialistischen Karikaturen (v. a. aus der Zeitung „Der Stürmer“) völlig verbrannt. Hinzu kommt, dass seit geraumer Zeit Rockefeller als Codewort für eine jüdische Verschwörung Verwendung findet und in rechten Narrativen immer wieder in die Nähe von reichen Jüd*innen wie Rothschild oder Soros gerückt wird.[7] Anders ausgedrückt: Auch wenn die Rockefellers keine Jüd*innen sind, werden sie im rechtsextremen Weltbild für welche gehalten und nehmen eine entsprechende Rolle darin ein. Eine Krakenkarikatur, die auf die Rockefellers abzielt, mag 1904 noch nicht antisemitisch gewesen sein. Sie anno 2020 affirmativ zu verwenden, stimmt aber zumindest skeptisch.
Erst recht, wenn man sich den Inhalt des Artikels näher ansieht. Dieser, verfasst vom VWL-Dozenten Antony P. Mueller von der Uni Erlangen, bringt die bereits erwähnte Abschaffung des Privateigentums, die seiner Ansicht nach durch die UN-Nachhaltigkeitspolitik droht, in unmittelbaren Zusammenhang mit Sozialismus und Kommunismus, zitiert dabei sogar aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels. Dabei setzt er auch den Nationalsozialismus mit dem Sozialismus gleich, was eine eklatante Relativierung darstellt, und präsentiert Woodrow Wilson als Beispiel für einen „linken Faschismus“, der mehr Gewalt gegen bürgerliche Freiheiten ausgeübt hätte als Mussolini. Die Stoßrichtung seiner Argumentation ist klar: „progressive movement“, Sozialismus, Kommunismus und Faschismus sind irgendwie alles das Gleiche, weil sie den Zielen eines Marktradikalismus und Wirtschaftsliberalismus entgegenstehen. Als Ziel dieser Bestrebungen markiert er die Errichtung einer „neuen Weltordnung“. In einem anderen Artikel für das Mises-Institut, auch von 2020, verwendet Mueller auch den Ausdruck „NWO“.[8]
Der Begriff der NWO ist in rechtsextremen, verschwörungsideologischen und antisemitischen Diskursen seit Jahrzehnten zentral. Verstanden wird darunter der Plan geheimer verschworener Eliten, eine internationale Weltregierung zu errichten. Diese Eliten werden wahlweise mit Freimaurer*innen, Bolschewist*innen, Zionist*innen oder ganz allgemein Jüdinnen*Juden identifiziert.[9] Die Verwendung des Begriffs gibt auch der Krakenkarikatur eine zusätzliche Bedeutungsebene: Im Kontext dieser Zeilen ist nicht nur die Krake Standard Oil zu sehen, die auf dem Erdölmarkt zunehmend eine Monopolstellung erlangt, sondern die „jüdische“ Krake Rockefeller, die auf die Errichtung einer NWO abzielt. Darüber hinaus subsumiert Mueller all diese Bestrebungen der UNO, des Sozialismus und des Progressivismus, Privateigentum abzuschaffen und eine Neue Weltordnung zu errichten, unter dem Begriff des „Globalismus“.
Dieser wird auch vom bereits erwähnten Präsidenten des Mises-Instituts, Polleit, angestrengt. In zwei Artikeln[10], ebenfalls aus dem Jahr 2020, bringt er den „politischen Globalismus“ in einen Zusammenhang mit dem „demokratischen Sozialismus“, auf den dieser setzen würde. Beide zielten nicht nur auf eine Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, sondern auch auf die der Nationalstaaten; zudem sieht er die Existenz von Bargeld in Gefahr, ebenso den Anreiz zu arbeiten. Kurzum sieht er im Globalismus eine Spielart von Sozialismus bzw. Marxismus, die die bestehenden Verhältnisse, die von freier Marktwirtschaft und Nationalstaat geprägt sind, umwälzen will. Steigbügelhalter dieser Bestrebungen seien generell Parlamentarier*innen und die Parteieliten. Er konstruiert folglich einen Gegensatz zwischen Globalismus/Sozialismus und Kapitalismus/Nationalismus. Unklar in seinen Ausführungen bleibt jedoch, wer genau diesen Globalismus betreibt. Keine Parteien, keine sozialen Bewegungen, keine herausragenden Individuen werden von ihm konkret genannt. Sein Feindbild sind ganz pauschal der Globalismus und der Sozialismus. Umso konkreter wird Polleit jedoch, wenn es um die Frage geht, wer dem Globalismus entgegentreten kann: Ausgerechnet auf Donald Trump bezieht er sich mehrfach positiv. Gerade in der US-amerikanischen extremen Rechten, die maßgeblich die Anhängerschaft Trumps darstellt, werden die Begriffe „globalism“ und „globalist“ als antisemitische Codes verwendet: Unter Globalist*innen werden Jüd*innen verstanden, unter Globalismus ihr verschwörerisches Bestreben, Macht in den Medien, der Finanzwelt und der Politik zu gewinnen.[11]
Die vom Ludwig-von-Mises-Institut konstruierte Verquickung von Globalismus und Sozialismus lässt sich daher als Wiedergänger der Vorstellung einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung auffassen. Die Verwendung antisemitischer Codes wie NWO oder Globalismus spricht ebenso dafür wie die Platzierung einer über 100 Jahre alten Krakenkarikatur, die gegen Rockefeller gerichtet ist, in einem völlig anderen Kontext. Dieses ideologische Muster, das sich in verschiedenen Artikeln auf der Institutsseite findet, passt auch zu seiner Nähe zu einer Gestalt wie August von Finck junior, der eine antisemitische Partei wie die AfD fördert und den Namen „Degussa“ für seinen Goldhandel verwendet, wiewohl das historische Unternehmen dieses Namens im Dritten Reich vor allem mit dem Gold handelte, das der jüdischen Bevölkerung gestohlen wurde. Diesen antisemitischen Abgrund des Mises-Instituts hat der ansonsten sehenswerte Beitrag von Frontal21 leider versäumt zu benennen. Denn auch wenn der Antisemitismus nicht offen, sondern über Umwege artikuliert wird, ist er dennoch zentraler Bestandteil der marktradikalen Ideologie der bayerischen VWL-Wissenschaftler.
[1] https://www.zdf.de/politik/frontal-21/frontal-21-vom-12-januar-2021-100.html, zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Evonik_Degussa#Die_Degussa_im_Dritten_Reich, zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[3] https://www.misesde.org/2011/09/polleit-thorsten/, zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[4] https://www.misesde.org/2020/11/der-linke-progressivismus-will-das-modell-der-zukunft-sein-und-ist-doch-nur-der-sozialismus-der-vergangenheit/, zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[5] https://explorepahistory.com/displayimage.php?imgId=1-2-1934&storyId=1-9-20, zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Standard_Oil_Company, zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[7] Vgl. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/heimat-integration/expertenkreis-antisemitismus/expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=7, https://www.humanistisch.net/38422/mit-antisemitismus-gegen-die-corona-luege/, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/das-a-wort/, https://www.morgenpost.de/politik/article230140892/Verfassungsschutz-Antisemitismus-nimmt-in-Deutschland-zu.html, jeweils zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[8] https://www.misesde.org/2020/08/vom-lockdown-zum-grossen-neustart/, zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Weltordnung_(Verschw%C3%B6rungstheorie), zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[10] https://www.misesde.org/2020/04/weltgeld-und-weltherrschaft/, https://www.misesde.org/2020/03/der-demokratische-sozialismus-eine-destruktive-ideologie/, jeweils zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
[11] https://www.nytimes.com/2016/11/15/us/politics/globalism-right-trump.html, https://www.theatlantic.com/politics/archive/2018/03/the-origins-of-the-globalist-slur/555479/, https://www.adl.org/resources/reports/quantifying-hate-a-year-of-anti-semitism-on-twitter#globalist-as-code-word-for-jew, jeweils zuletzt aufgerufen am 17.01.2021.
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