Unser Redebeitrag auf der Kundgebung „München Solidarisch“ vom 09.02.2022

Liebe Genoss*innen,

Einmal mehr versammeln wir uns heute, um gegen die gefährliche Melange aus Halbwissen, Egomanie, Verschwörungsdenken, Esoterik und Antisemitismus, genannt „Querdenken“, zu protestieren. Es ist und bleibt völlig inakzeptabel, wie diese Bewegung ihre Mitmenschen gefährdet und dabei eine zutiefst menschenverachtende Ideologie verbreitet. Bereits bei unserem letzten Redebeitrag auf der ersten Kundgebung von München Solidarisch am 22. Dezember letzten Jahres haben wir vom LBGA auf den antisemitischen Charakter von Querdenken aufmerksam gemacht. Heute möchten wir das vertiefen. Im Folgenden werden wir eine Auswahl antisemitischer Vorfälle in Zusammenhang mit Querdenken und der Corona-Pandemie vorstellen, die von der RIAS, der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern, veröffentlicht wurden. Die Quelle, die wir benutzt haben, ist die Facebookseite von RIAS. Da kann jede*r die betreffenden Geschichten nachprüfen.

Erst am 29. Januar, also vor nicht einmal zwei Wochen, wurden in die Briefkästen im Olympiadorf Flugblätter eingeworfen, die von einer Corona-Diktatur sprechen, von der sogar Joseph Goebbels geträumt hätte. Die Impfskeptiker*innen werden dabei explizit mit den Jüd*innen zur Zeit des Nationalsozialismus verglichen: Das ist Holocaustrelativierung und nichts anderes. Werden Impfgegner*innen denn heutzutage in Ghettos zusammengepfercht? Werden sie von Tötungskommandos massenweise niedergeschossen oder in Vernichtungslagern mit der ganzen Familie, mit alten Menschen und Kindern ermordet? Bemerkenswerterweise stammt dieses Flugblatt von einem selbsternannten „Bund gegen Anpassung“, der auf seiner Homepage mit Marx-Zitaten, Hammer-und-Sichel-Symbolen und antiamerikanischer/antiimperialistischer Rhetorik um sich wirft. Das ist Ausdruck der Abgründe unserer eigenen linken Bewegung, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.

Ähnliche Vorfälle gibt es immer wieder. Am 8. Januar wurde in Landshut eine Schmiererei mit dem Inhalt „Impfen macht frei“ auf der Straße hinterlassen – eine klare Anspielung auf die Parole „Arbeit macht frei“, die über den Eingagstoren verschiedener Konzentrations- und Vernichtungslager aus der NS-Zeit prangte. Am 10. Dezember wiederum wurde in Windischeschenbach eine Gruppe von Männern in einem Wirtshaus auffällig, indem sie eine Maskenträgerin belästigten und ihr eine Maske, auf dem ein gelber Stern mit der Aufschrift „ungeimpft“ abgebildet war, präsentierten. Die Botschaft ist eindeutig: Die Impfgegner*innen sind die Jüd*innen von heute. Und am 20. Dezember wurden in Amberg um einen Stolperstein, der an das jüdische Ehepaar Haymann erinnert, das während des Novemberpogroms gedemütigt bzw. später ins KZ Theresienstadt deportiert wurde, Kerzen aufgestellt und ein Zettel angebracht. Auf diesem ist von der Ausgrenzung von Impfgegner*innen die Rede, die dadurch in eine Nähe mit jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gebracht werden. Das ist nur eine Auswahl an holocaustrelativierenden Vorfällen der vergangenen zwei Monate. Wo das herkommt, gibt es noch viel mehr.

Doch belässt es die Querdenken-Bewegung nicht bei Shoa-Verharmlosungen. Auch die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien darf nicht fehlen. Am 31. Dezember wurde auf einem Autokorso in Regensburg das Lied „Fahrt zur Hölle“ der rechtsextremen Band Zillertaler Virenjäger abgespielt, in dem von einem satanistisch-kabbalistischen Plan fabuliert wird, der für die Pandemie verantwortlich sei. Nicht nur ist die Kabbalah eine mystische Tradition des Judentums: auch beruht die Verknüpfung von Judentum mit Satan auf einer Jahrhunderte alten christlich-antisemitischen Tradition, die immer wieder zur Dämonisierung von Juden und zu Pogromen gegen sie geführt hat. In diesem Fall geben sich Querdenken, Rechtsextremismus und christlicher Fundamentalismus die Klinke in die Hand.

Auch in München gab und gibt es weiterhin Vorfälle dieser Art. Am 8. Dezember trug die Teilnehmerin einer Querdenken-Demo ein Schild mit der Aufschrift „Rockefeller, Rothschild und Co“, die sie für die Pandemie und die Regierungsmaßnahmen zu ihrer Eindämmung verantwortlich machte. Bei den Rothschilds handelt es sich um eine jüdische Bankiersfamilie, die seit dem 19. Jahrhundert immer wieder im Zentrum antisemitischer Hetzpropaganda steht. Auch die Nationalsozialist*innen schossen sich auf sie ein und drehten sogar einen Film mit dem Titel „Die Rothschilds“. Am 16. August wiederum wurden Schmierereien auf Bundestagswahlplakaten entdeckt mit den Inhalten: „Schützt die Kinder vor der Genspritze. Bolschewismus Judenrepublik“ oder „Jüdische Weltordnung“. Die alte Mär von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung, der schon der Nationalsozialismus angehörte, wird hier wieder aufgewärmt und für die Impfungen verantwortlich gemacht.

Denkmuster dieser Art sind keine harmlosen Spinnereien, sondern können bedrohliche Ausmaße für Jüd*innen oder für Menschen, die für welche gehalten werden, annehmen. Erst am 21. Juni kam es in einem Münchner Linienbus zu einem Vorfall, bei dem im Zuge einer Unterhaltung über Corona und Maskenpflicht eine Frau behauptete: „Die Juden töten unschuldige Menschen.“ Als ein anwesender Mann dagegen einschritt und die Frau auf den antisemitischen Charakter ihrer Aussage aufmerksam machte, solidarisierten sich nicht nur weitere Passigier*innen mit der Frau: Nein, hinterher bekam der Mann für seinen beherzten Einsatz noch von jemand anderem den Spruch „Du scheiss Jude, verpiss dich!“ reingedrückt. Niemand, absolut niemand solidarisierte sich mit ihm.

Dieser Mann war selbst kein Jude, wurde aber Opfer eines antisemitischen Angriffs. Der Vorfall zeigt, wie prekär jüdisches Leben in Deutschland dank der Querdenken-Bewegung wieder ist. Und nicht nur das: Selbst Personen, die gar nicht jüdisch sind, aber als jüdisch gelesen werden, weil sie den Mut besitzen, öffentlich gegen Antisemitismus ihre Stimme zu erheben, geraten ins Visier der Impfgegner*innen und Verschwörungsideolog*innen. Zwei Jahre Corona-Pandemie und zwei Jahre Corona-Rebell*innen haben also dafür gesorgt, dass Antisemitismus wieder öffentlich vertretbar wird. Das ist ein immenser Schaden. Es wird Zeit, ihn zu beheben und die Querdenker*innen mitsamt ihren Shoarelativierungen und Verschwörungstheorien wieder in die Höhle zurückzutreiben, aus der sie kommen. Denn Querdenken ist reaktionär. Querdenken ist gefährlich. Querdenken ist antisemitisch. 

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