Offener Brief bzgl. des Auftritts von Ska-P am 15. Juli 2023 auf dem Tollwood München

Sehr geehrte Frau Strnad, sehr geehrte Frau Kneer, sehr geehrter Herr Schaettgen,

Wir wurden auf das Konzert der spanischen Ska-Punk-Band Ska-P aufmerksam gemacht, das am 15. Juli dieses Jahres auf dem Tollwood stattfinden soll. Da sie sowohl antisemitische als auch antiziganistische Ressentiments bedienen, fordern wir Sie auf, diese Band wieder auszuladen.

Konkret geht es uns zum einen um ihren Song „Intifada“, dessen Text ein Paradebeispiel für linken israelbezogenen Antisemitismus darstellt. Bereits am 5. August 2022 spielte die Band ihn in Augsburg, weshalb zu erwarten ist, dass sie ihn auch diesmal im Repertoire haben werden. Im Folgenden möchten wir anhand der deutschen Übersetzung erläutern, warum genau wir das so sehen:

Sechs Millionen Juden auf grausamste Weise vernichtet.

Seis miliones de judios aniquilados de la forma mas cruel.

Ein imperialistischer Völkermord durch faschistische Armeen, das müssen wir aus der Geschichte lernen.

Un genocido imperialista por ejercitos fascistas, de la historia hay que aprender.

Die Opfer sind zu Henkern geworden, sie kehren ihr Inneres nach außen,

Las victimas se han convertido en los verdugos se vuelven del reves,

In der Antisemitismusforschung nennt man das Täter-Opfer-Umkehr: Wenn aus den Opfern Täter gemacht werden. Das ist ein beliebter Topos im Antisemitismus und seit dem 19. Jahrhundert (und wohl viel früher) gängig, als Jüdinnen*Juden für die Pogrome, denen sie zum Opfer fielen, verantwortlich gemacht wurden. In diesem Fall werden die Opfer der Shoa, die mit Verweis auf Faschismus, Völkermord und die Zahl „Sechs Millionen“ eindeutig angesprochen werden, zu „Henkern“ umstilisiert

Palästinensische Gebiete zu kolonisieren, was wiederum den gesunden Menschenverstand verletzt.

Colonizando territorios Palestinos, de nuevo atentando a la sensatez.

Tot, tot!!!

Muertos, muertos!!!

In wessen Namen?

En nombre de quien?

Tot, tot!!!

Muertos, muertos!!!

Von Israel

De Israel

Tot, tot!!!

Muertos, muertos!!!

In wessen Namen?

En nombre de quin?

Tot, tot!!!

Muertos, muertos!!!

Jahwe

De Yave

Was würden Sie tun, wenn Sie aus Ihrem Haus geworfen würden, ohne sich beschweren zu dürfen?

Que harias tu si te echaran de tu casa sin derecho a rechistar

Ihre Kultur mit Füßen treten, eingetaucht in den Wahnsinn, die Würde zu verlieren.

Pisoteando tu cultura, sumergido en la locura por perder la dignidad.

Palästina leidet im Exil unter der Opulenz Israels

Palestina esta sufriendo en el exilio la opulencia de Israel

Für eine arrogante Regierung, die auf Krieg vorbereitet ist, denn Sie wissen schon, wer.

Por un gobierno prepotente, preparado para la guerra, por tu ya sabes quien.

Konkret werden die Opfer der Shoah und ihre Nachkommen in Israel für die „Kolonisierung“ palästinensischer Gebiete verantwortlich gemacht, für dortige militärische Auseinandersetzungen und das „Leiden“ Palästinas. Und das im Namen Israels und Jahwes. Von den Terrorangriffen durch die Hamas, von der stetigen Weigerung der palästinensischen Führung, das israelische Existenzrecht anzuerkennen und von den Angriffskriegen arabischer Armeen 1948 und 1967, die die aktuelle Situation von Besatzung und Konflikt überhaupt erst geschaffen haben, keine Rede. Ein komplexer Konflikt wird im Rahmen eines Songs auf die einseitige und böswillige (da ja der „Kolonisation“ dienenden) Aggression Israels reduziert – und dafür auch noch die jüdische Identität verantwortlich gemacht, da dies ja im Namen Jahwes geschehe. 

Steine gegen Kugeln eine neue Intifada im Westjordanland, im Gazastreifen oder in Jerusalem.

Piedras contra balas una nueva intifada en Cisjordania, en Gaza o en Jerusalem.

Ohh, wer könnte sich vorstellen, oh …

Ohh, quien podria imaginar oh…

Dass David Goliath war

Que David fuese Goliath

Oh Intifada, Intifada

Ohh Intifada, Intifada

Oh Intifada, Befreiung!

Ohh Intifada, liberacion!

Der positive Bezug auf die Intifada vertieft die antisemitische Dimension des Songs. Bei der Intifada handelt es sich um Terroranschläge der palästinensischen Kräfte gegen israelische Zivilist*innen, wobei in weiterer Folge Tausende von Menschen (Israelis wie Palästinenser*innen) durch Selbstmord- und Raketenangriffe von palästinensischer Seite ums Leben gekommen sind.

Verwechseln Sie nicht meine Position, ich bin Atheist und glaube an keinen Gott,

No confundas mi postura, soy ateo y no creo en ningun dios,

Ich unterscheide die Leute nicht nach ihrer Rasse, ihrer Kultur oder ihrer Religion, Scheiße!

No diferencio a las personas por su raza, su cultura o su mierda de religion!

Ich verurteile nur Leid, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch

Solo condeno el sufrimiento, la injustia y el abuso de poder

Palästina ist dem hartnäckigsten aller Kriege ausgesetzt, der Opulenz Israels.

Palestina es sometida a la mas terca de las guerras, la opulencia de Israel.

Weshalb genau der Nahostkonflikt der hartnäckigste aller Kriege sein soll, bleibt schleierhaft. Allein im benachbarten Syrien sind seit Beginn des dortigen Bürgerkriegs 2011 mehr Menschen ums Leben gekommen als durch den israelisch-palästinensischen Konflikt in der ganzen Zeit seit Gründung des jüdischen Staates 1948. Äußerungen dieser Art dienen nur dazu, Israel zu dämonisieren und zu einem hochgradig aggressiven Akteur hochzustilisieren. Der zu Beginn des Songs gemachte Verweis auf die Shoa dient letztlich der Gleichsetzung des industriellen Genozids des Nationalsozialismus an der jüdischen Bevölkerung mit der israelischen Besatzung. Das ist Holocaustrelativierung und nichts anderes.

Das andere Problem betrifft das Bedienen antiziganistischer Klischees. In Augsburg wurde beobachtet, wie sich ein Bandmitglied für mehrere Minuten während eines Liedes als stereotypische Z********n mit Glaskugel verkleidet war. 

Selbstverständlich steht es Kunstwerken frei, politische Themen aufzugreifen und eine Haltung zu formulieren. Und selbstverständlich ist die Formulierung von Kritik an der israelischen Regierung und ihrer Politik in den besetzten Gebieten legitim. Wo sie aber derart unterkomplex, schuldzuweisend und dämonisierend gegenüber dem jüdischen Staat vorgeht, handelt es sich nicht mehr um Kunst, sondern um Propaganda. Die Gefahr des israelbezogenen Antisemitismus wurde für jeden sichtbar, der 2021 die Angriffe auf Synagogen im Zuge deutschlandweiter antizionistischer Proteste anlässlich militärischer Auseinandersetzungen in Israel und Palästina beobachtete. Und gerade in München führte diese Form des Antisemitismus mit dem Olympia-Attentat, das sich letztes Jahr zum 50. Mal jährte, gar zu Todesopfern. Und auch die antiziganistische Bühnenshow ist völlig unverantwortlich, bedenkt man, welches Leid Sinti und Roma während des Dritten Reiches erleben mussten und welcher Diskriminierung sie bis heute ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund halten wir es für unsäglich, dass dieser Band in München eine Bühne geboten wird. Wir fordern Sie daher dazu auf, sie wieder auszuladen und das Konzert abzusagen.

Mit freundlichen Grüßen,

Linkes Bündnis gegen Antisemitismus München (Grüne Jugend München, linksjugend [’solid] München, SJD – Die Falken München, Emanzipatorische Linke München)

Erich Schneeberger, Erster Vorsitzender Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e.V.

Verband Jüdischer Studenten in Bayern

Junges Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft München

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