Am 5. Mai 2019 plant der bayerische Ableger der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der AfD, ein „Politisches Frühschoppen in München“ in der Pizzeria Antica Tropea in Feldmoching (Lerchenauerstr. 270). Auftreten sollen dort neben dem bayerischen JA-Vorsitzenden Sven Kachelmann auch die bayerische Landtagsfraktionsvorsitzende der AfD Katrin Ebner-Steiner und Björn Höcke, der Landesvorsitzende der AfD Thüringen.[1] Zwar hat die Stadt München Höcke und Ebner-Steiner Hausverbot erteilt, doch hat die AfD juristische Schritte angekündigt.[2] Ob die Veranstaltung nun stattfinden wird oder nicht: Unter dem Aspekt Antisemitismus ist sie in aller Deutlichkeit zu kritisieren.
Am 17. Januar 2017 hat Björn Höcke auf einer Veranstaltung der JA in Dresden eine kontroverse Rede gehalten, in der er u. a. folgende Worte fielen: „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat. […] Und bis heute sind wir nicht in der Lage, unsere eigenen Opfer zu betrauern. […] Anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben, … vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt …, und anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht. […] Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Straußʼ Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. […] Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die uns vor allen Dingen und zu allererst mit den großartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt.“[3]
Das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas, auf das Höcke anspielt, wird von ihm als Schande bezeichnet, die damit verknüpfte „Bewältigungspolitik“ als dämlich, weshalb er im Sinne des Grundsatzprogramms seiner Partei eine „erinnerungspolitische Wende“ fordert. Das Gedenken an den größten Genozid der Menschheitsgeschichte mit dem Zweck, seine Wiederholung auszuschließen, solle beseitigt werden, um die eigenen Opfer betrauern zu können und sich an Beethoven oder Beckenbauer erfreuen zu können. Die Wahnhaftigkeit in Höckes Aussagen wird an mehreren Stellen sichtbar: Nicht nur, dass die berühmten deutschen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen allgemein bekannt sind und regelmäßig geehrt und rezipiert werden; darüber hinaus vollzieht Höcke hier eine Relativierung der Shoa, indem er die Trauer über „unsere eigenen Opfer“ fordert, eine Trauer, die allerdings seit der sogenannten Trümmerliteratur in der deutschen Gesellschaft existiert. Die Singularität der Shoa wird dadurch abgestritten und ihre Opfer mit deutschen Kriegsopfern auf eine Stufe gestellt – ganz zu schweigen davon, dass Höcke mit der Formel „unsere eigenen Opfer“ Jüdinnen*Juden pauschal aus dem Deutschsein exkludiert und den Deutschen als etwas Fremdes und Anderes gegenüberstellt. Die Relativierung der Shoa wird auch an verniedlichenden Begriffsverwendungen wie „dämlich“ und „die deutsche Geschichte lächerlich machen“ deutlich, als handele es sich beim Shoagedenken um eine kindische Alberei. Höcke knüpft damit an die Schlussstrichdebatte an, die in Deutschland nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausbrach und bis heute anhält. Konkret geht es um Schuldabwehr, um die Weigerung, Verantwortung für die Shoa zu übernehmen und dafür Sorge zu tragen, eine Wiederholung auszuschließen und Antisemitismus zu bekämpfen.[4] In der Forschung wird diese Form der Schuldabwehr im Zusammenhang mit der Shoa auch als sekundärer Antisemitismus bezeichnet.[5] Völlig zurecht hat Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Höckes Dresdner Rede als antisemitisch bezeichnet.[6]
Die Dresdner Rede bleibt vielleicht der bekannteste, aber nicht einzige Antisemitismusvorfall in Zusammenhang mit Höcke. Bereits im Dezember 2015 empfahl er eine Broschüre Wolfgang Gedeons mit dem Titel „Grundlagen einer neuen Politik über Nationalismus, Geopolitik, Identität und die Gefahr einer Notstandsdiktatur“. In dieser ist neben vielen weiteren reaktionären Aussagen die Rede von einer Amerikanisierung Europas, die Gedeon als „Amerikanismus“, als „alte[n] jüdische[n] Glaube[n] vom neuen irdischen Jerusalem“ bezeichnet. Dieselbe Schrift hat den bislang größten Antisemitismusskandal in der Geschichte der AfD ausgelöst, die sogar eine zeitweise Spaltung der Landtagsfraktion zur Folge hatte.[7] Für Höckes Parteikarriere hatte diese Lektüreempfehlung allerdings ebenso wenig Konsequenzen wie seine Auslassungen über das Shoagedenken.
Dabei hat sich die AfD in der Vergangenheit immer mal wieder gegen Antisemitismus positioniert, zumindest, solange es um Juden- und Israelhass von Flüchtlingen und Migrant*innen ging.[8] Auch von Ebner-Steiner ist auf ihrem Facebook-Profil folgende Aussage belegt: „Vereint gegen #Antisemitismus. Allen Juden in #Bayern und #Deutschland ein schönes #Chanukka-Fest.“ Nachdem sie aber allerlei antisemitischer Kommentare, die in Reaktion auf ihren Post entstanden, unkommentiert stehen ließ[9], erschüttert der gemeinsame Auftritt mit Höcke ihre Glaubwürdigkeit noch weit mehr. Völlig zurecht hat Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, im Zuge ihrer Rede vor dem Bayerischen Landtag am 23. Januar 2019 während einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des NS die AfD scharf kritisiert: Knobloch warf der Partei Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen und Verbindungen ins rechtsradikale Milieu vor, was nahezu die gesamte Landtagsfraktion (Ebner-Steiner eingeschlossen) dazu veranlasste, aus Protest den Saal zu verlassen.[10] Durch den geplanten Auftritt gemeinsam mit Höcke am Sonntag belegt Ebner-Steiner nun die Berechtigung von Knoblochs Vorwürfen.
Ins Bild passt zudem, dass die Junge Alternative Bayern die Veranstaltung organisiert. Eine Befragung der bayerischen Parteijugenden durch das JuFo der DIG München ergab letztes Jahr, dass die JA als einzige den BDS-Stadtratsbeschluss ablehnt und der Auffassung ist, dass der Shoa zu viel Aufmerksamkeit in der Schule zuteilwird.[11] Die inhaltliche politische Nähe der bayerischen JA zu den antisemitischen Äußerungen Höckes ist damit evident. Und dass sich die bayerische Landtagsfraktionsvorsitzende an dieser Veranstaltung beteiligt, ohne dass interne Kritik bekannt wäre, führt einmal mehr vor Augen, dass die AfD ein massives Antisemitismusproblem ist. Das ergänzt auch das Ergebnis einer Recherchearbeit unseres Bündnisses, die wir in Bezug auf die AfD München geleistet haben.[12] Die Parole muss daher weiterhin lauten, die AfD zu bekämpfen. Es hat sich bereits Protest angekündigt, für den Fall, dass die Veranstaltung stattfinden wird.[13] Wir rufen dazu auf, sich daran zu beteiligen. Gegen jeden Antisemitismus!
[1] https://www.aida-archiv.de/termine/5-mai-2019-5/?fbclid=IwAR0rJ0vVRS1w9Yd5cxrrdkt4udtsKiNTX16B73MfGVF1cFmYBYQIQGIKiao, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[2] https://www.br.de/nachrichten/bayern/afd-stadt-muenchen-erteilt-hoecke-und-ebner-steiner-hausverbot,RPQjFQc?fbclid=IwAR0ZeyFiclcYfmD17fTF7mloJwM-O5uv4rf49DXOFBbdiX3PKeN_XFDXOy0, zuletzt aufgerufen am 03.05.2019.
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/hoecke-rede-im-wortlaut-gemuetszustand-eines-total-besiegten-volkes/19273518.html, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlussstrichdebatte, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[5] Dazu v. a. Samuel Salzborn, Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie. Baden-Baden 2014, 15-17.
[6] https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27563, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[7] https://www.tagesspiegel.de/politik/streit-in-der-afd-was-gedeon-ueber-amerika-nazis-und-juden-schreibt/13836796.html, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[8] http://www.hagalil.com/2018/11/antisemitismus-afd/, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[9] https://www.infoticker-passau.org/node/236, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[10] https://www.sueddeutsche.de/bayern/afd-landtag-gedenkveranstaltung-opfer-nationalsozialismus-knobloch-1.4299382, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[11] https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1492257144252553&id=1316571435154459, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[12] https://lbga-muenchen.org/2018/11/19/die-muenchner-afd-und-der-antisemitismus/, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.
[13] https://www.facebook.com/events/2123074844650016/?notif_t=plan_user_invited¬if_id=1556877519110379, zuletzt aufgerufen am 02.05.2019.