Es wächst zusammen … Zum Auftritt des Frei.Wild-Sängers Philipp Burger im Backstage am 30. September

Für den 30. September hat das Münchner Backstage einen Auftritt des Frei.Wild-Sängers Philipp Burger angekündigt und gleich ein Statement veröffentlicht, um der erwarteten Kontroverse den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wir erklären im Folgenden, weshalb dieses Statement nicht überzeugt, Burger weiterhin als neurechter nationalkonservativer Akteur zu gelten hat – und das Backstage möglicherweise auch.

Angriff ist die beste Verteidigung: Das Statement des Backstage

Das Backstage München, das seit jeher für seine Offenheit für rechte, antisemitische, sexistische und homophobe Acts berüchtigt ist, wie wir in einem gemeinsam mit der Antisexistischen Aktion München (ASAM) und dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (JuFo) München verfassten Artikel von 2020 nachgezeichnet haben[1], hat für den 30. September einen Solo-Auftritt Philipp Burgers, des Sängers der Südtiroler Band Frei.Wild, angekündigt. Auftritte der Gruppe in München haben in der Vergangenheit immer wieder Kontroversen ausgelöst: So 2011, als sie schon mal im Backstage aufgetreten sind[2], oder letztes Jahr im Vorfeld eines Konzerts in der Olympiahalle, als wir gemeinsam mit dem Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) einen offenen Brief an die damaligen Münchner Bürgermeister*innen geschrieben und eine Ausladung gefordert haben[3], wobei Abendzeitung und BR unsere Kritik aufgegriffen haben[4]. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Anschluss über das Konzert und kam zum Schluss, dass dabei „neu-rechte Narrative“ bedient worden seien.[5] Darauf kommen wir noch einmal zurück.

Dem Backstage dürfte klar gewesen sein, dass die Ankündigung eines Burger-Konzertes die nächste Kontroverse auslösen dürfte. Entsprechend hat es diesmal eine andere Kommunikationsstrategie gewählt: Statt wie ehedem abzuwarten, ob sich überhaupt Kritik einstellt, um darauf mit einem in der Regel immer relativierenden „Statement“ zu reagieren, hat es nun ein solches Statement veröffentlicht, noch bevor Kritik überhaupt artikuliert wurde.[6] Dabei „bewerten“ sie das Konzert als „äußerst wichtig im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Extremismus und Gewalt“ und als Ausdruck „für Vielfalt und Toleranz“. Burger werden „höchste Professionalität“ und „ein großes und echtes Anliegen […], sich nicht nur zu erklären und zu seinen Fehlern zu stehen, sondern andere vor selbigen zu warnen und über die rechte Szene aufzuklären“ attestiert; zudem wird er als „wirkliches Vorbild“ dafür, „wie der Ausstieg aus der rechten bzw. einer extremistischen Szene erfolgreich funktionieren kann“, zelebriert. Als Kronzeug*innen dieses Wandels führt das Backstage unzählige Festivals und Bands auf, die mit Frei.Wild bislang zusammengearbeitet haben. Was fehlt: Die Berücksichtigung der Expertise aus der Rechtsextremismusforschung oder von antifaschistischen Initiativen. Im Lexikon von Belltower News, dem Nachrichtenportal der Amadeu-Antonio-Stiftung, heißt es beispielsweise:

„‚Frei.Wild‘ behauptet, unpolitisch zu sein – bedient in den Texten aber nationalistisch-völkische Klischeebilder oder singt über islamfeindliche Abschottungsphantasien. Um ihren kommerziellen Erfolg nicht zu gefährden, greifen sie zur Taktik, sich lautstark gegen ‚Nazi-Sein‘ zu verwehren, um zugleich rechtsaffine Inhalte ungestört verbreiten zu können. Die neonazistische Vergangenheit des Sängers wird zur ‚Jugendsünde‘, das Engagement bei einer rechtspopulistischen Südtiroler Partei am liebsten verschwiegen.“[7]

Das Backstage greift diese Kritik auf, um sie sofort zurückzuweisen: „Vorwürfe, dass Burger bzw. Frei.Wild einen völkischen Nationalismus, rechte Positionen oder Antisemitismus in ihren Texten bedienen, entbehren einer inhaltlichen und nachvollziehbaren Grundlage. Entsprechende Textzeilen, die von den Kritikern gerne angeführt werden, sind häufig aus dem Kontext gerissen, in dem u.a. die historischen Hintergründe Südtirols ignoriert werden oder Sätze willkürlich bzw. bewusst anders interpretiert werden.“

Holocaustrelativierung in Frei.Wild-Songs

„Entsprechende Textzeilen“ wurden von uns in unserem offenen Brief an die Bürgermeister*innen beanstandet. Im Frei.Wild-Song „Wir reiten in den Untergang“ aus dem Jahr 2012 heißt es beispielsweise:

Heut gibt es den Stempel, keinen Stern mehr

Und schon wieder lernten sie es nicht

Und sagst du mal nicht Ja und Amen

Oder schämst dich nicht für dich

Stehst du im Pranger der Gesellschaft

Und man spuckt dir ins Gesicht.

Mit dem „Stern“ spielt Burger auf den Judenstern an, der der jüdischen Bevölkerung vom Nationalsozialismus aufgezwungen wurde. Dieser wird mit dem „Stempel“ analogisiert, der dem Gegenüber des Erzählers, der ihm empathisch entgegentritt, aufgenötigt wird. Die Stoßrichtung ist eindeutig: Burger, der sich mit dem Erzähler und dem Gegenüber identifizieren dürfte, fühlt sich ähnlich behandelt wie die Jüdinnen*Juden zur Zeit des NS. Das ist Shoa-Relativierung und nichts Anderes. Dass der Song in der Regel als Opener auf Frei.Wild-Konzerten verwendet wird, unterstreicht seine Bedeutung für die Band. Übrigens handelt es sich hier nicht um Zeilen, die wir aus dem Kontext reißen würden: In einem Interview mit dem Focus von 2013 wurde Burger auf diese angesprochen und rechtfertigt ausdrücklich die Gleichsetzung der nationalsozialistischen Judenverfolgung mit dem öffentlichen Umgang mit seiner Band:

Focus: Bei der Passage „Heute gibt es den Stempel, keinen Stern mehr“ kann doch nur der Judenstern gemeint sein.

Burger: Der Text ist aber eine klare Absage an den Nationalsozialismus.

Focus: Ihnen ist aber schon klar, dass das Schicksal der Juden damals ein völlig anderes war als jenes, das Sie als Meinungsrebellen fürchten?

Burger: Keine Frage. Dennoch war der Anfang derselbe, wie immer in der Geschichte, an dessen Ende Völkermord stand.

Focus: Dann ist diese Textzeile schlicht Schwachsinn.

Burger: Nein, denn wenn man zensiert, Leute diskriminiert, mundtot macht, Menschen in die Ecke drängt, dann ist das Ausgrenzung, menschenverachtend und bleibt nun mal ein Stempel. Unser Ausschluss vom Echo zeigt, wie schnell so etwas zu einer Massendynamik führen kann.

Focus: Aber es gibt keine Konzentrationslager und Gaskammern mehr wie damals, in denen Juden ermordet wurden.

Burger: Zum Glück, aber ich bleibe dabei, auch damals waren blindes Handeln, Vorverurteilungen, Ausgrenzung und Zensur der Anfang allen Übels.[8]

Im Song „Gutmenschen und Moralapostel“ heißt es:

Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen.

Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen.

[…]

All die Verbrechen, all der Schmerz auf dieser Welt

Wurde euch so oft zuteil, ihr seid arm und meidet Geld.

Komisch, dass es euch so gut geht, dass ihr selbst in Reichtum schwebt.

Merkt euch: Ehrliches besteht und Verlogenes vergeht.

Der Journalist und Rechtsextremismusexperte Thomas Kuban kommentiert das: „Man muss kein Antisemitismus-Forscher sein, um darin eine Anspielung auf Holocaust-Opfer zu erkennen, die vom deutschen Staat Entschädigungszahlungen erhalten, beziehungsweise die Andeutung des antisemitischen Stereotyps, dass Juden reich sind. Politisch einschlägige Fans verstehen diese Botschaften.“[9] Dieser Einschätzung schließen wir uns an.

Im Song „Für immer Anker und Flügel“ von 2013 finden sich folgende Textzeilen:

Wenn Augen leuchten

Und die Schlacht beginnt

Wenn eure Stimme uns den Atem nimmt

Dann schallen Schreie durch die Nacht

Und unser Feuer ist entfacht

Wenn Grenzen fallen, und wir den Sturm bezwingen

Unangepasst – gehasste Lieder singen

Dann fällt der letzte Widerstand

Und wir überrollen jedes Land

[…]

Sturm brich los und trag uns laut voran

Erhobenen Hauptes gegen den Untergang

Jeder für jeden, für uns alle hier

Unser aller Leben, unser aller Revier.[10]

Die Redewendung „Sturm brich los“ wurde von Theodor Körner in einem Gedicht 1813 gesprägt, das die deutsche Nation gegen Napoleon mobilisieren sollte; NS-Propagandaminister Joseph Goebbels benutzte es als Schlusswort seiner Sportpalastrede, in der er das „Volk“ zum totalen Krieg aufrief.[11] Gerade die Verwendung dieser Worte in einem vor militaristischem und patriotischem Pathos nur so triefenden Text und vor dem Hintergrund der Nazi-Vergangenheit Burgers lässt daran zweifeln, dass er nicht im vollen Bewusstsein auf Goebbels anspielen wollte, obgleich er sich in Interviews darauf angesprochen dumm stellt und die Worte auf den Zufall schiebt.[12]

Holocaustrelativierung in Aussagen Philipp Burgers

Dabei sind es nicht nur Songs, in denen Burger sein unserer Auffassung nach antisemitisches und geschichtsrevisionistisches Weltbild zum besten gibt, sondern auch Aussagen in Interviews oder in den sozialen Medien. In einer Spiegel-Reportage aus dem Jahr 2018 spricht er von der „Volkskrankheit der nicht mehr nachvollziehbaren Naziphobie“, pathologisiert also die Abneigung gegen Rechtsextremismus und behauptet, „größere Arschlöcher als die Antifa“ gäbe es kaum, als wäre Aktivismus gegen Faschismus schlimmer als Faschismus selbst. Zudem reißt Burger Witze über Pol*innen und behauptet, „gewisse Parallelen“ zwischen der Kritik an seiner Band und der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu erkennen.[13] In einem Statement anlässlich der Kritik an nationalistischen Auswüchsen während der Fußball-EM 2012 ließ Burger verlauten:

Leider Gottes ist Deutschland auf einem Weg, der jedem Verstand mit Bravour den Atem raubt. Ganz ehrlich, das ist die logische Konsequenz dieser „Wir alle müssen ewig für die Taten unserer Vorfahren büßen“-Politik!!! Aber man wollte es so, hat Kinder so erzogen und trägt nun die Konsequenz, selber schuld!!! Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Italiener, Russen, Amerikaner oder zum Beispiel auch Chinesen ihrer Herkunft geschämt hätten, obwohl deren Diktatoren und Regime gleich viele und um viele Millionen Menschen mehr auf dem Gewissen haben, als es unter Scheiß-Hitler-Deutschland der Fall gewesen ist. Der Blick geht Richtung Zukunft und verdammt nochmal nicht ewig in Richtung Vergangenheit. Meiner Meinung nach langt es auch irgendwann mit dieser ewigen „Selbstscham“ und diesem niemals enden wollenden „Selbsthass“ jedes deutsch sprechenden Bürgers. […] Auch macht man Vergangenes nicht ungeschehen, indem man schon seit Jahrzehnten davon finanziell Profitierende, lechzend nach einer Daseinsberechtigung für ihr klägliches Dasein, weiter unterstützt und ihre Meinung blind unterstreicht, nur um ja nicht dagegen zu pissen.[14]

Nicht nur wird hier die Shoa verharmlost und ihre Singularität bestritten, indem auf vermeintlich ähnliche oder gar schlimmere Verbrechen anderer Nationen verwiesen wird, sondern Jüdinnen*Juden offen unterstellt, von ihrem Schicksal und dem ihrer Angehörigen während des Nationalsozialismus finanziell zu profitieren. Darüber hinaus werden sie offen diffamiert und erniedrigt. Auch wenn Jüdinnen*Juden nicht explizit angesprochen werden, wohl um Antisemitismusvorwürfen aus dem Weg zu gehen, besteht kein Zweifel, wer mit den „Profitierenden“ des Shoa-Gedenkens gemeint ist: Die Vorstellung, das Judentum würde aus dieser Gedenkkultur Kapital schlagen, ist nämlich seit langem ein antisemitisches Bonmot.[15]

Der Frei.Wild-Auftritt in der Olympiahalle

Jeder mag nun für sich selbst beurteilen, inwieweit solche Aussagen aus dem Kontext gerissen wären, von uns böswillig interpretiert werden oder sich im Lichte der Geschichte Südtirols in Wohlgefallen auflösen lassen. Wir jedenfalls stimmen dem Fazit der Spiegel-Reportage zu, dass es sich bei der Musik von Frei.Wild um eine „Vertonung des Parteiprogramms der AfD“ handele, die solche Forderungen nach einem „Schlussstrich“, einem Ende des „Schuldkultes“ und des Shoa-Gedenkens zum Parteiprogramm gemacht haben.[16] Eine Distanzierung Burgers von seinen Aussagen ist uns zudem nicht bekannt. Im Gegenteil: Wie aus dem Konzertbericht der SZ hervorgeht, war „Wir reiten in den Untergang“ erneut der erste Song, den Frei.Wild bei ihrem Konzert in der Olympiahalle letztes Jahr gespielt haben. Da unser offener Brief mitsamt der Kritik an genau diesem Song auch der Band zu Ohren kam, wie aus einem Facebook-Post vom 29. November 2022 hervorgeht[17], lässt sich seine trotzige Verwendung als Opener als gezieltes Statement in unsere Richtung deuten: Man hält an seinen shoarelativierenden Vorstellungen eben explizit fest.

Der Auftritt in der Olympiahalle war auch aus anderen Gründen problematisch, wie aus dem SZ-Bericht hervorgeht. Burger rief an einer Stelle ins Publikum: „Alle, die sich nicht als Frau fühlen, oder als divers oder mittlerweile […] als Eichhörnchen, setzen sich jetzt mal hin!“ Die vom Backstage beschworene „Vielfalt und Toleranz“, für die Philipp Burger stünde, gilt offenkundig nicht für queere Menschen. Ansonsten wurde das Repertoire an nationalistischen Songs wie „Wir schaffen Deutsch.Land“ abgespielt, das laut dem SZ-Artikel „als Anspielung auf Thilo Sarrazins Buch ‚Deutschland schafft sich ab‘ gelesen werden kann“, einem biologistisch-rassistischen Klassiker. Trotz der stetigen Selbstinszenierung als „unpolitisch“ sind Frei.Wild und Burger gerade das nicht: Vielmehr sind sie neurechte Akteur*innen, die ihr Weltbild im Rock-Gewand einem breiteren Publikum verkaufen.

Burgers Vergangenheit als rechtsextremer Aktivist

Vor diesem Hintergrund widersprechen wir entschieden dem Urteil des Backstage, die Distanzierung Burgers von rechtem Gedankengut und die Aufarbeitung seiner rechtsextremen Vergangenheit seien glaubwürdig. Er mag vielleicht kein Skinhead mehr sein, doch umfasst die rechte Szene weit mehr als nur Neonazis. Auch die AfD ist keine genuine Nazi-Partei wie weiland die NPD, sondern ein Bündnis aus Nazis wie Björn Höcke mit christlichen Fundamentalist*innen wie Beatrix von Storch, Nationalkonservativen wie Alexander Gauland und Marktradikalen wie dem mittlerweile ausgetretenen Jörg Meuthen, die durch gemeinsame Ziele (restriktive Einwanderungspolitik, Antifeminismus, Klimawandelleugnung, Einstampfung des Shoa-Gedenkens etc.) verbunden sind. Anhand seiner Aussagen wäre Burger unserer Auffassung nach am ehesten als nationalkonservativer Vertreter der Neuen Rechten einzuordnen.

Einen Bruch Burgers mit der rechten Szene hat es in jedem Fall nie gegeben. Das macht sich allein schon an seinem unaufrichtigen Umgang mit seiner Vergangenheit bemerkbar: Das betrifft zum einen seine frühere Skindhead-Band „Kaiserjäger“, zum anderen sein politisches Engagement bei der Südtiroler Partei „Die Freiheitlichen“ im Jahre 2008, die der rechtsextremen FPÖ nahesteht.[18] In einem Interview mit den Ruhrnachrichten im Jahr 2012 bestreitet er, dass Kaiserjäger eine Nazi-Band gewesen sei, weil es dieser nur um „Liebe, Freundschaft und Alkohol“ gegangen sei.[19] Zur Erinnerung: Das Booklet der Demo-CD „Raff dich auf“ von 2000 zeigt Burger auf zwei Bildern mit Hitlergruß, umgeben von Skinheads, sowie Symbolen der White-Power-Bewegung wie dem Keltenkreuz; die Texte sind zutiefst rassistisch und hetzen gegen PoC (die mit dem N-Wort diffamiert werden) und „Yugos“.[20] Wer Hitlergrüße und Keltenkreuze als unpolitisch zu framen versucht, distanziert sich nicht von seiner Nazi-Vergangenheit, sondern leugnet sie. Was das nachweisbare und von ihm selbst in einem 2008 veröffentlichen Statement verbürgte Engagement Burgers bei den Freiheitlichen angeht, so wurde das damals mit „gewalttätige[n] Übergriffe[n] ausländischer Gangs auf einheimische Jugendliche“ gerechtfertigt und eine inhaltliche Distanzierung ausdrücklich verweigert; heute wird eine Parteimitgliedschaft schlicht geleugnet.[21]

Die Stilisierung Burgers zum vorbildlichen Nazi-Aussteiger

Das Backstage stilisiert Burger nun zum „Vorbild“ eines Nazi-Aussteigers – eine Verhöhnung für jede Person, die sich tatsächlich aus rechten Strukturen emanzipiert hat. Ein solcher Ausstieg geht in der Regel mit massiven Bedrohungen durch die ehemaligen Kamerad*innen und Schwierigkeiten bei der Resozialisierung aufgrund eines fehlenden sozialen Netzes einher.[22] Burger und Frei.Wild sind aber bis heute in rechtsextremen Kreisen wohlgelitten. In einem Szene-Forum heißt es: „Wir können […] froh sein, dass es solche Bands gibt, die dadurch sehr viele Leute ansprechen und patriotisches Gedankengut vermitteln, ohne dass sie sofort an Hitler oder das Dritte Reich erinnert werden.“[2] Der NPD-Funktionär Patrick Schröder sagte 2013: „Frei.Wild ist vielleicht nicht 100 Prozent bei uns auf Linie, aber doch 80 Prozent. Und 30 Prozent davon geben sie zu.“[23] Im selben Jahr veranstaltete die NPD in Berlin sogar eine Solidaritätsmahnwache für die Band anlässlich der Kritik an ihr um die Echo-Preisverleihung. Ein 2015 veröffentlichtes Statement von Frei.Wild, in dem sich die Band von PEGIDA und AfD abgrenzte und sich für die Aufnahme von Flüchtlingen aussprach, löste einen veritablen Shitstorm in der eigenen Fanbasis aus, was ebenfalls verdeutlicht, wo große Teile von dieser politisch stehen.[21] Wer aber die Hoffnung hatte, diese Erfahrung markiere den Beginn eines aufrichtigen Bruchs der Band mit der rechten Szene, wurde enttäuscht: Im Jahr 2019 veröffentlichte sie den Song „Geartete Künste hatten wir schon“, in dem sie nicht nur in verschwörungsideologischer Manier gegen „System-Marionetten“ und „Mediennutten“, sondern auch gegen die „Flüchtlingsmafia“ austeilt[24] – und dafür Beifall von der rechten Szene-Zeitung „Junge Freiheit“ erhielt[25]. Kein Nazi-Aussteiger würde jemals solchen Zuspruch erfahren. Burger hat innerhalb der rechten Szene lediglich die Strömung gewechselt.

Mehr noch: Burger kann darüber hinaus auf eine steile Karriere blicken: Auf seiner Konzertankündigung prahlt er damit, dass sein Solo-Debüt Platz 1 der deutschen Charts und seine Autobiographie den ersten Platz der Spiegel-Bestseller-Liste erreichte.[26] Burger ist das Kunststück gelungen, seine Anerkennung in rechten Kreisen aufrechtzuerhalten – und zugleich „neue Brücken in die Mitte der Gesellschaft“ zu bauen, wie er es selbst auf seiner Konzertankündigung ausdrückt. Von Resozialisierungsschwierigkeiten weit und breit keine Spur. Derweil fordert das Backstage eine „zweite Chance“ für Bürger. Wofür? Hat er, der erfolgreiche Rockstar und Bestseller-Autor, seine erste Chance denn jemals verspielt?

„Nie wieder“: Die fragwürdige Israelsolidarität von Frei.Wild

Gegen Ende seines Statements führt das Backstage noch folgendes Argument an: „Nicht zuletzt waren Frei.Wild eine der ersten Bands überhaupt, die sich künstlerisch mit dem Song ‚Nie wieder‘ nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 07.10.2023 gegen Antisemitismus positioniert haben.“ Tatsächlich hat die Band mit dem benannten Song sich anlässlich des Pogroms vom 7. Oktober gegen Antisemitismus und Israelhass ausgesprochen. Und doch mahnt das zur Vorsicht. Eine formelle Solidaritätserklärung mit Israel gab es nach dem 7. Oktober auch von der AfD; unseren Recherchen zu ihren Vertreter*innen und Ortsverbänden in München zufolge ist es vor allem der nationalkonservative Flügel, der diese Solidarität vertritt, während das rechtsextreme Spektrum diese aufzukündigen bestrebt.[27] Diese Israelsolidarität der AfD ist jedoch als instrumentell aufzufassen: Nicht nur weil sie Antisemitismus nur bei Migrant*innen und Linken thematisiert (man denke an den rechten Mythos vom „importierten Antisemitismus“) und damit entsprechende politische Konsequenzen wie etwa Deportationen  begründet, sondern sich dadurch einen Koscher-Stempel erhofft, um ohne Antisemitismus-Verdacht die eigenen judenfeindlichen Ideologeme verbreiten zu können: Verschwörungstheorien und Forderungen nach einem „Schlussstrich“ unter das Shoa-Gedenken. 

Auch Frei.Wild instrumentalisieren wie gezeigt vielfach das jüdische Schicksal während des NS zur Stilisierung eines eigenen Opfernarrativs und setzen sich für ein Ende der Gedenkkultur ein. Da israelbezogener Antisemitismus seit dem 7. Oktober massiv von islamistischen und linksantizionistischen Initiativen artikuliert wird, schlägt die Band mit diesem Song in die Kerbe der AfD: Der Antisemitismus der politischen Gegner*innen wird angeprangert, der eigene aber nicht weiter thematisiert oder reflektiert. In einem Focus-Interview vom 9. Oktober 2023, also nur zwei Tage nach dem Massaker, findet sich eine weitere „Distanzierung“ Burgers von seiner rechten Vergangenheit, die dazu dient, seine Autobiographie zu promoten; Israel wird mit keinem Wort erwähnt. Darüber hinaus behauptet Burger über seine Zeit als Skinhead: „Den Holocaust habe er jedoch nie geleugnet und derartige Behauptungen ’nicht stehen lassen‘ können.“[28] Geleugnet hat er ihn in seinen oben aufgezählten Songs und Aussagen tatsächlich nicht, aber massiv relativiert. Eine Distanzierung von diesen shoa-relativierenden Äußerungen findet sich hier jedenfalls nicht, auch nicht nach dem Pogrom des 7. Oktober.

Passende Worte zum Song „Nie wieder“ findet auch das JuFo Regensburg anlässlich eines Frei.Wild-Konzertes ebenda am 9. Juni 2024: „Der Song kann nicht unabhängig vom Schaffen und politisch-gesellschaftlichen Kontext der Band eingeordnet werden. Die Soli-Aktion für Israel darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Band Antisemitismus und extrem rechten Weltbildern Vorschub leistet. Der Song muss als Versuch gewertet werden, israelisches und jüdisches Leid für die eigene Wiedergutwerdung zu instrumentalisieren. Ebenso wie in Teilen der AfD, FPÖ und anderen rechten Parteien zeigt die Band hier eine Überidentifikation mit Israel, um damit einerseits rassistische und islamfeindliche Ressentiments zu adeln und andererseits von eigener Verstrickung in antisemitische Ideologie abzulenken.“[29] Dem ist nichts hinzuzufügen.

Das Backstage als neurechtes Zentrum in München?

In unserem Artikel von 2020 haben wir das Problem des Backstage, seit Jahren beständig reaktionären und menschenverachtenden Acts eine Bühne zu bieten, auf seine „ökonomischen Prioritäten“ zurückgeführt. Wir müssen unsere Einschätzung womöglich modifizieren: Da das Backstage nun bereits im Vorfeld hypothetischer Kritik in die Offensive ging, um den Auftritt eines rechten Künstlers zu rechtfertigen, statt wie früher vergleichbare Acts achselzuckend durchzuwinken und sich erst im Anschluss aus Kontroversen herauszuwieseln; und da es keine Kosten und Mühen scheut, Burger einem bürgerlichen und linksalternativen Milieu als geläuterten Ex-Nazi anzupreisen, während es die Kritik an seinen unserer Auffassung nach antisemitischen, sexistischen und queerfeindlichen Äußerungen beiseite wischt und damit affirmiert; ist das Backstage vielleicht auch das: ein neurechter Ort im Herzen Münchens, ein Scharnier zwischen der extremen Rechten und der sogenannten Mitte der Gesellschaft, mit der Absicht, shoarelativierende und andere reaktionäre Vorstellungen mehrheitsfähig und akzeptabel zu machen. Anscheinend geht es dem Backstage also nicht einfach nur um Profite, wie wir früher angenommen haben, sondern um die Verbreitung und Verankerung rechter Ideologeme. Die Münchner Bevölkerung sollte den Laden meiden; die Landeshauptstadt München ihr jegliche finanzielle Unterstützung entziehen.

[1] https://lbga-muenchen.org/2020/03/04/das-problem-heisst-backstage-eine-grundlegende-kritik-am-konzertveranstalter/, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[2] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/konzerte-im-muenchner-backstage-problematische-patrioten-1.1024261, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[3] https://lbga-muenchen.org/2022/11/28/offener-brief-bzgl-des-auftritts-von-frei-wild-in-der-olympiahalle-am-6-januar-2023-an-die-drei-burgermeisterinnen-von-munchen/, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[4] https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/trotz-kritik-freiwild-und-roger-waters-duerfen-in-muenchen-spielen-art-861488, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024; der Artikel von BR24 ist mittlerweile offline, aber als Screenshot gespeichert.

[5] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-olympiahalle-frei-wild-konzert-rechtsrock-1.5886607?reduced=true, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[6] https://backstage.eu/media/Statement_Philipp_Burger_I_short.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[7] https://www.belltower.news/lexikon/frei-wild/, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[8] https://www.focus.de/kultur/medien/interview-mit-der-band-frei-wild-sind-glatzen-bei-ihnen-willkommen_id_177549.html, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[9] https://www.endstation-rechts.de/news/alles-nur-fassade-oder-wie-rechts-sind-freiwild-wirklich, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[10] https://www.frei-wild.net/releases/still-premium-edition-27/cd1-39/fuer-immer-anker-und-fluegel-307, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Sportpalastrede, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[12] https://salto.bz/en/article/15042015/freiwild-die-ss, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[13] https://www.spiegel.de/kultur/frei-wild-ist-die-band-rechtsradikal-a-00000000-0002-0001-0000-000157424349, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[14] https://www.facebook.com/Frei.Wild/photos/a.433543094594/10151027486174595/?type=3, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[15] Vgl. Samuel Salzborn, Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie. Baden-Baden 2014, 43-63; Peter Ullrich u. a. (Hg.), Was ist Antisemitismus? Begriffe und Definitionen von Judenfeindschaft. Göttingen 2024, 31-35.

[16] Vgl. https://www.afd.de/grundsatzprogramm/#7, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[17] https://www.facebook.com/Frei.Wild/posts/pfbid02gentktLjdBUDUWMhAvs9mJ38kCiqvbGXZ6E7Weoo3vERBQ1nh74qqskcFrCV2P5pl, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[18] Zur Nähe der Freiheitlichen zur FPÖ s. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Freiheitlichen, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[19] https://web.archive.org/web/20130228005408/http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/dortmund/Freiwild-Saenger-Ich-verachte-Nazis-aufs-Tiefste;art930,1810079, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[20] https://www.discogs.com/release/5137608-Kaiserj%C3%A4ger-Raff-Dich-Aufhttps://rechtsaussen.berlin/2015/04/frei-wild-die-band-die-wahrheit-der-hitlergruss/https://web.archive.org/web/20130606014354/http://www.punkrock-fanzine.de/?p=1847, jeweils zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[21] https://grauzonen.info/hintergrund/Die%20Deutschrockband%20Frei.Wild, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[22] Vgl. die Ausstiegsberichte hier: https://ak-exit.de/10-aussteiger-ueber-exit-deutschland/, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[23] https://www.welt.de/kultur/pop/article114271297/Bei-der-NPD-mag-man-die-Songs-von-Frei-Wild.html, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[24] https://www.frei-wild.net/blog/2019/07/03/das-video-geartete-kuenste-hatten-wir-schon-577, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[25] https://jungefreiheit.de/kultur/2019/frei-wild-schiessen-gegen-regierungskapellen/, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[26] https://backstage.eu/philipp-burger-band-good-bad-girls-good-bad-boys-tour.html, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[27] https://lbga-muenchen.org/2023/12/06/mixed-signals-die-munchner-afd-und-die-israel-frage-nach-dem-7-oktober/, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

[28] https://www.focus.de/kultur/musik/frei-wild-saenger-philipp-burger-ueber-nazi-zeit-wundere-mich-noch-heute-wie-ich-so-einen-dreck-gut-finden-konnte_id_221613761.html, zuletzt aufgerufen am 15.06.2024.

[29] https://www.instagram.com/p/C79gW2ssj3v/?img_index=1, zuletzt aufgerufen am 14.06.2024.

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