Offener Brief an den Circus Krone bzgl. einer Veranstaltung mit Kaya Yanar am 7. Juni 2024

Am 20. Mai 2024 versandten wir folgende Mail an den Circus Krone. Da eine Antwort ausblieb, veröffentlichen wir sie hier:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Für den 7. Juni 2024 ist ein Auftritt des Comedians Kaya Yanar bei Ihnen im Circus Krone angekündigt.[1] Da wir ihn für problematische Äußerungen zum Nahostkonflikt kritisieren, fordern wir von Ihnen, die Veranstaltung abzublasen. Im Folgenden begründen wir unsere Kritik:

Wir beziehen uns auf eine Debatte, die Yanar mit einem selbstproduzierten Youtube-Video am 27. Januar 2024[2] entfachte – ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag. Darin äußert er sich in Gestalt einer Kunstfigur, des türkischstämmigen Fahrlehrers Yildirim, zum gegenwärtigen Gazakrieg. Anspruch ist es, über „Desinformationen“ und „Lügen“ Israels aufzuklären.

Unter anderem bezeichnet er die Berichte über Babys, die von Hamas-Terroristen geköpft wurden, als „Lüge“. Handfeste öffentliche Beweise zu dieser Behauptung gibt es tatsächlich nicht, aber mehrere ernstzunehmende Augenzeug*innenberichte[3]; diese als „Lüge“ zu bezeichnen, ist unredlich und sachlich falsch. Als Lüge stellt er auch die Tatsache dar, dass die Hamas in Krankenhäusern, Kindergärten oder Schulen ihre Waffenlager und Raketenabschussbasen positioniert, um die IDF dazu zu animieren, solche grundsätzlich zivilen (aber militärisch umfunktionierten) Orte anzuvisieren.[4] Das zu dem Zweck, die Angriffe der IDF auf solche Orte als willkürliche Kriegsverbrechen darzustellen. Dabei wiederholt er die als Falschaussage nachgewiesene Behauptung der Hamas, die IDF hätte das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza Stadt beschossen, obwohl der Islamische Dschihad dafür verantwortlich ist[5] – eine Behauptung, die selbst viele bekennende Antizionist*innen ausdrücklich nicht mehr teilen. Darüber hinaus verharmlost er unserer Auffassung nach die Gefahr der Hamas: „Hamas ist keine Armee, 25.000 Kämpfer mit Maschinengewehren und Raketen auf wish bestellt, die oft ihr Ziel gar nicht erreichen.“ Dabei verweist er selbst auf das israelische Abwehrsystem, den Iron Dome, dem zu verdanken ist, dass die Ziele gar nicht erreicht werden. Auch die Entdeckung eines antisemitischen Klassikers wie Hitlers „Mein Kampf“ in einem palästinensischen Kinderzimmer stellt er in Form einer rhetorischen Frage als Inszenierung der IDF dar, obwohl die judenfeindliche Indoktrination der palästinensischen Bevölkerung vom Kindesalter an durch die Hamas seit Jahren belegt ist.[6] Schließlich bezeichnet er den Krieg ausdrücklich als israelischen „Angriff“ und weist seinen Charakter als Selbstverteidigung in Reaktion auf den Pogrom am 7. Oktober dezidiert zurück. Man kann nun viele Aspekte des Krieges kritisieren, Maßnahmen der IDF genauso wie Äußerungen von einigen rechten Ministern der israelischen Regierung: Aber zu leugnen, dass der Krieg eine Reaktion auf das Massaker des 7. Oktobers ist, ist sachlich falsch und verzerrt die komplexe Realität des Nahostkonflikts massiv.

Soweit nur eine willkürliche Auswahl. Ansonsten mischt er in seine unseres Erachtens ungerechtfertigte Kritik an Israel tatsächliche Falschbehauptungen rechtsextremer britischer Politiker, zieht absurde Vergleiche zwischen der Hamas und der RAF, die auf eine Verharmlosung Ersterer abzielen, und unterstellt Israel expansionistische Annexionsbestrebungen. Trotz vereinzelter Distanzierungen von der Hamas wird ihre antisemitische Agitation mit keinem Wort kritisiert, ihre eigene Propaganda-Maschine nirgendwo angesprochen. Im Grunde läuft seine Kritik unserer Ansicht nach darauf hinaus, von Israel zu fordern, antisemitische Massaker widerstandslos über sich ergehen zu lassen. In einem selbst und ohne Kunstfigur vorgetragenen Schlussplädoyer kritisiert Yanar, dass „unsere führenden Politiker und Medien das alles mit Selbstverteidigungsrecht rechtfertigen“ und ignoriert dabei, dass Außenministerin Annalena Baerbock sich bei Abstimmungen über israelfeindliche UN-Resolutionen enthielt[7], sich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu anlegte[8] und erst jüngst die israelische Offensive gegen Rafah scharf kritisierte[9]. Eine konsequent proisraelische Politik ist das entgegen der Darstellung Yanars jedenfalls nicht. Den Höhepunkt des Videos bildet Yanars Aussage: „Nie wieder ist jetzt und für alle.“ Der Spruch „Nie wieder ist jetzt“ bezieht sich auf die Shoa und den Wunsch, eine Wiederholung des industriellen Genozids an den Jüdinnen*Juden zu verhindern.[10] Dass Yanar ausgerechnet diesen Satz auf die Situation in Gaza bezieht, impliziert, dass dort ein solcher Genozid stattfinden würde: Der Journalist und Flüchtlingshelfer Tobias Huch bewertet das als Holocaustrelativierung.

Zu Yanars Video, das ihm eine Anzeige wegen Volksverhetzung eingebracht hat[11], gibt es eine sehenswerte Analyse Huchs[12]. Huch wurde von Yanar schließlich verklagt, zog aber seinen Antrag zurück, nachdem ihm das Landgericht Hamburg erklärte, in einem Gerichtsverfahren chancenlos zu sein.[13] Das gilt auch für Huchs Einschätzungen des Videos als antisemitisch und holocaustrelativierend. Entscheidend für unsere Einschätzung der Agitation Yanars ist auch sein Umgang mit der Kritik, die sich an diesem Video entzündete. Die Jüdische Allgemeine (JA) kommentierte das Video mit folgenden Worten: „Ja, wir sind enttäuscht von Ihnen. Schon fast jahrzehntelang haben wir mit Ihnen gelacht. Wir haben uns zu Ihrer Fangemeinde gezählt, sind sozusagen mit Ihnen aufgewachsen. Und nun geben Sie uns zu verstehen, dass wir eigentlich gar nicht zu Ihrer Fangemeinde gehören dürfen. Sie haben mit Ihrem Video ein Tabu gebrochen. War es das wert?“[14] Yanar reagierte daraufhin mit einem umfangreichen Tweet, in dem es hieß: „Sie furzen eine Antisemitismus-Wolke in den Raum, die jeder riechen soll, wenn er meine Worte hört. Auch wenn Sie jetzt gerne die Tatsachen verdrehen wollen: Sie haben gefurzt, nicht ich.“[15] Vom Versuch einer Entschuldigung, Erklärung oder Richtigstellung möglicher Missverständnisse keine Spur. Auf einen weiteren Artikel der JA[16] reagiert Yanar auf Twitter mit der Unterstellung einer „karrierevernichtenden Antisemitismus-Keule“ und zieht die Gil-Ofarim-Geschichte heran, um zu belegen, dass auch Jüdinnen*Juden lügen könnten[17]. Bislang können wir trotz des Antisemitismusvorwurfs gegen Yanar keinen Karriereknick erkennen: Laut seiner Homepage stehen dieses Jahr zwei Tourneen mit 21 Auftritten an.[18]

Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober sind antisemitische Vorfälle in Deutschland massiv angestiegen.[19] Sogar im Journal der sonst eher israelkritischen NGO Amnesty International wird eine Zunahme von Übergriffen auf Jüdinnen*Juden thematisiert.[20] Vielfach berichten sie, sich in Deutschland seit dem Pogrom nicht mehr sicher zu fühlen[21], gerade auch an Hochschulen[22], wofür Yanar auf Twitter nur Häme übrig hat[23]. Auch die JA berichtet in ihrer Kritik an Yanar, infolge seines Videos massiv angegriffen worden zu sein.[16] Dass ihm darauf nichts anderes einfällt, als von einer „Antisemitismus-Keule“ zu sprechen und sich eher um seine Karriere als um das Wohl seiner jüdischen Mitmenschen besorgt zu zeigen, lässt tief blicken. Als in der Öffentlichkeit stehender Künstler trägt er eine Verantwortung, der er offensichtlich nicht gewachsen ist. Daher ist es unserer Ansicht nach an der Zeit, ihn von dieser Verantwortung zu entbinden. Wir fordern Sie daher auf, seinen geplanten Auftritt abzusagen und damit ein Zeichen der Solidarität mit Jüdinnen*Juden in diesen Zeiten zu setzen.

Mit freundlichen Grüßen,

das Linke Bündnis gegen Antisemitismus München (Grüne Jugend München, linksjugend [’solid] München, SJD – Die Falken München)

[1] https://www.muenchenticket.de/tickets/performances/edip9kocpdk7/Kaya-Yanar, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[2] Zum Veröffentlichungsdatum https://x.com/TobiasHuch/status/1751899101862437172?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1751899101862437172%7Ctwgr%5E57d06e02be93c8fc1a34eacac8726f730d7a3fc9%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.derwesten.de%2Fpolitik%2Fkaya-yanar-israel-nahost-juedische-allgemeine-tobias-huch-f-id300819316.html, jeweils zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[3] Vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/hamas-terrorangriff-opfer-identifizierung-israel-100.html, https://www.derstandard.de/story/3000000214131/sechs-monate-gazakrieg-sechs-monate-kampf-um-die-wahrheit, jeweils zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[4] https://www.merkur.de/politik/hamas-raketenabschuss-moscheen-kindergaerten-krieg-israel-gaza-news-92597688.html, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/israel-hamas-zentrale-unter-schifa-krankenhaus-gefunden-19323262.html, jeweils zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[5] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/israel-hamas-krankenhaus-102.html, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[6] Vgl. https://www.mena-watch.com/was-die-hamas-unter-kinderprogramm-versteht/, https://www.welt.de/debatte/kolumnen/dschihadaufdeutsch/article1815142/Hamas-radikalisiert-Kinder-mit-Hass-Hasen.html, jeweils zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[7] https://www.welt.de/debatte/kolumnen/dschihadaufdeutsch/article1815142/Hamas-radikalisiert-Kinder-mit-Hass-Hasen.html, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[8] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/israel-annalena-baerbock-und-benjamin-netanjahu-geraten-heftig-aneinander-a-90e5c7cf-7eb3-4f49-8ef5-0cf0d2854d1b, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[9] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/israel-gaza-krieg-baerbock-kritisiert-israels-vorgehen-in-rafah-a-09721377-9974-4758-8477-408bbe83e989, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[10] Vgl. z. B. https://www.rosalux.de/themen/geschichte/nie-wieder-ist-jetzt, https://www.linksfraktion.berlin/themen/th/gegen-rechts/detail/nie-wieder-ist-jetzt-1/, jeweils zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[11] https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_100340212/volksverhetzung-kaya-yanar-wegen-israel-video-angezeigt-comedian-reagiert.html, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[12] https://www.youtube.com/watch?v=7yjCLkxahhc, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[13] https://www.youtube.com/watch?v=861NwNf0aIU, zuletzt aufgerufen am 20.05.2024.

[14] https://www.juedische-allgemeine.de/meinung/lieber-kaya-yanar/, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[15] https://x.com/Kaya_Yanar/status/1777284703227183488, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[16] https://www.juedische-allgemeine.de/meinung/kaya-yanar-horen-sie-endlich-auf-antisemitische-narrative-zu-verbreiten/, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[17] https://x.com/Kaya_Yanar/status/1777402975457067460, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[18] https://www.eventim.de/artist/kaya-yanar/, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[19] https://report-antisemitism.de/documents/2023-11-28_PM_RIAS_Monitoringbericht__Antisemitismus_in_Deutschland.pdf, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[20] https://report-antisemitism.de/documents/2023-11-28_PM_RIAS_Monitoringbericht__Antisemitismus_in_Deutschland.pdf, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[21] S. z. B. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/juden-deutschland-sicherheit-israel-100.html, https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL3JiYl8wZmY5NzUyYi1iMTFlLTQxOWUtOTU4OS1iZWI4NTExOGU3NGFfcHVibGljYXRpb24, https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/antisemitismus-berlin-102.html, https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/antisemitismus-berlin-102.html, jeweils zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[22] https://www.welt.de/politik/deutschland/article248349534/Antisemitismus-an-Unis-Juden-fuehlen-sich-an-deutschen-Hochschulen-nicht-sicher-sagt-der-HRK-Praesident.html, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

[23] https://x.com/Kaya_Yanar/status/1787122411730510103, zuletzt aufgerufen am 18.05.2024.

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