Nachtrag zu unserer Kritik am geplanten Auftritt von Ska-P auf dem Tollwood München [aktualisiert 13.07.2023]

Am 10. Juli 2023 veröffentlichten wir gemeinsam mit dem Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB), dem Verband Deutscher Sinti und Roma in Bayern und dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft München (JuFo) einen offenen Brief ans Tollwood München mit der Forderung, die Band Ska-P auszuladen, die dort ein Konzert am 15. Juli plant. Wir begründeten das mit dem antisemitischen Song „Intifada“ und antiziganistischen Bühnenshowelementen. Das Tollwood reagierte mit einem öffentlichen Statement, in dem es zwar die Kritik nachvollziehen konnte, aber am Konzert festhält, u. a. auch mit folgender Begründung: „In der aktuellen Kritik steht ein einzelner Song aus dem Jahr 2002. Eine Einordnung als antisemitische Band im Gesamt-Schaffenswerk ist für uns nicht erkennbar.“ Wir wollen in unserem Nachtrag kurz auf drei weitere antisemitische Inhalte im „Gesamt-Schaffenswerk“ der Band hinweisen, die allerdings etwas älter sind.

Im Jahre 1996 erschien das zweite Album der Band mit dem Titel „El vals del obrero“ mit folgendem Cover:

Zu sehen ist ein Geschäftsmann mit Hakennase, der eine Marionette kontrolliert. Diese ist als Bauarbeiter gekennzeichnet; der Titelsong ist dezidiert sozialistischen Charakters: Die Band identifiziert sich darin als Proletarier. Die Bildsprache steht allerdings in einer anderen Tradition, wie ein Vergleich mit einer ältere Karikatur zeigt:

Quelle

Es handelt sich um eine Karikatur aus der NS-Zeit. Hier ist ein stereotypischer „Jude“ in antisemitischer Vorstellung zu sehen, die eine Hakennase hat und Marionetten kontrolliert. Dieselbe Bildsprache benutzte auch Ska-P auf ihrem Cover.

Auf demselben Album befindet sich zudem der Song „Animales de Laboratorio“, in dem es um Tierversuche geht. Darin findet sich die Zeile:“¿Holocausto o ciencia en el reino animal? / Brutalidad. / Exterminar.“ Übersetzt heißt es: „Holocaust oder Wissenschaft im Tierreich? / Brutalität. / Ausrotten.“ So grausam Tierversuche in der Wissenschaft sind, so shoarelativierend sind diese Zeilen. Der Song „Intifada“ war also nicht der erste, in dem die Band sich anmaßt, die Shoa für politische Agenda zu instrumentalisieren.

Die kapitalistische Ausbeutung sowohl von Arbeiter*innen als auch von Tieren lassen sich auch ohne antisemitische Motive und Shoarelativierung kritisieren. Das geschieht auch regelmäßig. Die hier präsentierten Textzeilen und Bilder sind jedoch so wenig eine „Meinung“ oder eine „Kritik“ wie die Erfüße im Song „Intifada“ oder die Bühnenshow in Augsburg mit Glaskugel. Es handelt sich um Antisemitismus und Antiziganismus – und um nichts anderes.

Doch geht die Problematik bei Ska-P noch viel tiefer. Bei der Aufnahme eines Konzerts in Buenos Aires im Jahr 2014 zeigt sich eine zutiefst verschwörungsideologische Vorstellungswelt. Bevor das Lied „Intifada“ angestimmt wird, hält der Sänger eine zweiminütige Ansprache ans Publikum: „Was sie uns erzählt haben, welche chinesischen Märchen sie uns erzählt haben über Israel und Palästina! Sie denken, wir sind blöd! Über die Medien erzählen sie was über einen Krieg, einen Konflikt zwischen Israel und Palästina, einen Staat, bewaffnet bis an die Zähne, eine [unverständlich] militärische Technik gegen was? Gegen ein Volk ohne Verteidigung mit absolut nichts! Das ist kein Krieg, Argentinien! In meinem Volk nennt man das einen Genozid, nennt man das ein Massaker an einem unbewaffneten Volk, nennt man das einen Massenmord an Kindern, Alten, Frauen und Kindern! Unsere Regierungen schweigen, die neoliberalen Regierungen gehorchen dem großen Giganten Israel! Sie sind Besitzer des neoliberalen Finanzsystems, sie sind Besitzer der globalen Wirtschaft! Dafür sind wir das Volk, Argentinien! Solidarität, Respekt und Würde für das palästinensische Volk! Es lebe das freie und vollständige Palästina! […] raus mit den Zionisten aus Palästina! Für die Intifada!“

Ganz im Geiste ihres Songs „Intifada“ wird hier Israel dämonisiert und ein völlig einseitiger Blick auf den Nahostkonflikt gezeichnet: Israel als Völkermörder und als Kindermörder, gegen den nur Terrorinitiativen wie die Intifada und die komplette Abschaffung des jüdischen Staates helfen würden. Als würde das nicht reichen, wird nun auch noch behauptet, dass Israel (oder von Israel kontrollierte „neoliberale Regierungen“) das globale Finanzsystem beherrschen würde. Eine solche Vorstellung ist zutiefst antisemitisch und steht in einer Tradition, in der sich auch der Nationalsozialismus mit seinem Wahn eines internationalen Finanzjudentums einreiht. Es sind Vorstellungen dieser Art, die einst die Shoa mitverursacht haben, welche von Ska-P systematisch relativiert und instrumentalisiert wird.

Solche Inhalte aus dem rechtsextremen Diskurs werden auch in ihren Songs verarbeitet. Ihr Lied „¿Quienes Sois?“ aus dem Jahr 2013 enthält folgende Zeilen: „Wer seid ihr, Verbündete im Dunkeln? / Wie seht ihr aus, könnt ihr atmen? / Ich will sehen, ob es Menschlichkeit in euren Augen gibt / Zeigt euch jetzt, kommt heraus, wir werden euch zum Erliegen bringen. / Bilderberger, blutdürstige Machtgruppen / Die Welt liegt euch zu Füßen […] Die Stimmen der Toten dieser verbrecherischen Ordnung / Dieser mörderischen Ordnung / Rebelliert! / IWF und die Ratten der Weltbank / Ihr seid die Diener des Großkapitals […] Da ist Luzifer, hungrig nach Macht / Er ernährt sich von Gier / Er kann die Menschheit beherrschen / Und infiziert sie mit Dreck […].“

Bei den „Bilderbergern“ handelt es sich um ein antisemitisches Codewort, das für die jüdische Weltverschwörung steht und in verschwörungsideologischen rechten Kreisen gängig ist. Dabei wird auf eine private Konferenz politischer, wirtschaftlicher und militärischer Eliten angespielt, die jährlich stattfindet und gegen die regelmäßig die extreme Rechte mobilisiert. Mit ihrem Text verbreitet Ska-P typisch rechte Verschwörungsideologien und imaginiert die „Bilderberger“ als Herren von Finanzwelt und Großkapital. Assoziationen zu „Blutdurst“, „Gier“ und „Luzifer“ werden darüber hinaus hergestellt, was auf die Rezeption eines christlichen Antijudaismus verweist, in dem Jüdinnen*Juden stereotypisch immer als von Gier getriebene Gefolgsleute Satans imaginiert werden.

Will das Tollwood das Konzert wirklich weiterhin zulassen?

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