Mit einem „Statement Palästina“ schaltete sich am 23. August 2025 die Münchner Ortsgruppe von Fridays For Future (FFF) auf Instagram in die aktuelle Nahost-Diskussion ein, wobei „gegen das Schweigen“ und „für gerechten Frieden“ eine „solidarische Aufarbeitung“ angekündigt wird. Musikalisch untermalt von Macklemore und umrahmt von der palästinensischen Nationalfahne und einer Friedenstaube bezichtigt FFF sich selbst, „nicht einfach ‚geschwiegen‘“, sondern „aktiv Gegenstimmen unterdrückt“ zu haben.[1] FFF München hat tatsächlich zum Nahostkonflikt nie geschwiegen. Im Gegenteil: Am 10. Dezember 2023 haben sie gemeinsam mit uns und anderen Organisationen, darunter dem Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB), eine Demonstration am Königsplatz mit dem Titel „Nie wieder ist jetzt! Gegen jeden Antisemitismus, Rassismus & Islamismus“ auf die Beine gestellt. Die Initiative ging dabei von FFF aus. Im gemeinsam verfassten Aufruf benannten wir den Pogrom von 7/10 als „größte[n] und abscheulichste[n] Massenmord an Jüdinnen*Juden seit dem Ende des Nationalsozialismus“ und sprachen an, dass „antisemitische Vorfälle und Straftaten seit dem Massaker der Hamas massiv angestiegen“ sind, auch auf palästinasolidarischen Demos. Wir sprachen uns aber auch ausdrücklich gegen rechte Versuche aus, Antisemitismuskritik zu vereinnahmen, „um Hetze gegen Migrant*innen zu verbreiten und für eine weitere Aushöhlung des Asylrechts zu plädieren“.[2] FFF lieferte damals geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie man Antisemitismuskritik und Antirassismus verbindet, und suchte sogar aktiv den Kontakt zu jüdischen Betroffenen, weshalb sich auch der VJSB an der Demo beteiligte.
Nun aber folgt eine 180-Grad-Wende, die ihresgleichen sucht. Die Distanzierung von FFF International und Greta Thunberg im Oktober 2023 wird im Statement von FFF München ausdrücklich zurückgenommen. Sie seien „von Medien als ‚antisemitisch‘ diffamiert worden“, heißt es darin. Tatsächlich wurden sie dafür kritisiert, sich in einem Instagram-Post und in einer Instagram-Story vom 20. Oktober mit der Organisation Palästina Spricht (PS) solidarisiert zu haben, die das Massaker von 7/10 als „revolutionäre[n] Tag, auf den man stolz sein muss“ bezeichnet hat, während beide zu keiner Zeit – weder damals noch bis heute – je auch nur ein Wort zum Pogrom selbst verloren haben.[3] Dass sie als „antisemitisch“ diffamiert worden wären, weil sie sich damals „solidarisch mit den unterdrückten Palästinenser:innen“ gezeigt hätten, wie es im Statement von FFF München heißt, ist daher schlicht falsch. Es ging damals um ihre Solidarität mit einer Organisation, die den Massenmord an Jüdinnen*Juden offen und unmissverständlich zelebrierte. Mehr noch: Zu ihrer „Aufarbeitung“ gehört auch, dass FFF München sich nun selbst ausdrücklich mit PS solidarisieren, für die sie „Freiheit […] vor Repressionen und Verfolgung durch den Verfassungsschutz“ fordern. Der Pogrom des 7. Oktober schrumpft im Statement zu einem „Gräuel“, der nicht rechtfertigen könne, dass „seit 77 Jahren […] Palästinenser:innen vertrieben, massakriert, bombardiert, entrechtet und jeglicher Lebensgrundlagen beraubt“ würden. Der 7. Oktober wird also nicht nur heruntergespielt, sondern nicht einmal mehr verurteilt und zu einer Art Legitimierungsstrategie für ein von FFF München in atemberaubender Realitätsverweigerung gezeichnetes „System“ stilisiert. Darzulegen, wie verzerrt, einseitig und teilweise sachlich falsch die auf einen einzigen Satz komprimierte Darstellung des hochkomplexen israelisch-palästinensischen Konflikts ist, würde hier den Rahmen sprengen.
Dieser Gesinnungswandel ist eine ausdrückliche Entsolidarisierung mit Jüdinnen*Juden – mit jenen, die in Israel am 7. Oktober abgeschlachtet wurden, und mit jenen, die seitdem hierzulande regelmäßig damit bedroht werden, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Dass sich FFF München unmittelbar nach dem Massaker für den Schutz von Jüdinnen*Juden aussprach, erscheint ihrem Statement zufolge nämlich als großer Fehler. Dass Greta damals den Hamas-Fans von PS zur Seite sprang, sei demgegenüber die richtige Haltung gewesen.
Dieser Fehler wird im Statement damit erklärt, dass man „ein positives Image in den Medien […] aufrechterhalten“ wollte, „um weiterhin unsere Narrative für Klimagerechtigkeit in der Presse präsentieren zu können“, weshalb FFF München sich selbst explizit des „Opportunismus“ bezichtigt. Diese Erklärung ist noch niederschmetternder als der Gesinnungswandel als solcher. FFF München expliziert, dass es ihnen zu keiner Zeit um Solidarität mit Jüdinnen*Juden und um den Kampf gegen Antisemitismus ging, sondern nur darum, in den Medien eine gute Figur zu machen. Warum haben sie trotz der kontrovers geführten Nahostdebatte erwartet, dass sich Solidarität mit Jüdinnen*Juden medial besonders gut verkaufen lässt? Und wie opportunistisch ist dann ihre Solidarisierung mit „Palästina“, wenn diese sich auf Hamas-sympathisierende Gruppen wie PS beschränkt, zu den Massenprotesten in Gaza gegen das Hamas-Regime[4] schweigt – und erst jetzt erfolgt, nachdem auch AfD und CDU/CSU begonnen haben, in aller Offenheit immer „israelkritischer“ zu agieren?
[1] https://www.instagram.com/p/DNs4JwE0PV5/?img_index=2, zuletzt aufgerufen am 23.08.2025.
[2] https://lbga-muenchen.org/2023/12/05/10-12-um-16-uhr-konigsplatz-nie-wieder-ist-jetzt-gegen-jeden-antisemitismus-rassismus-und-islamismus/, https://www.instagram.com/p/C0eYr9cI-96/, jeweils zuletzt aufgerufen am 24.08.2025.
[3] https://taz.de/Thunberg-unterstuetzt-Palaestinenser/!5967725/, zuletzt aufgerufen am 23.08.2025.
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/gaza-protest-gegen-hamas-100.html, zuletzt aufgerufen am 23.08.2025.

2 Kommentare zu „Wenn ihr geschwiegen hättet … Zum antizionistischen Gesinnungswandel von Fridays For Future München“