Von Holocaust-Relativierung und Hamas-Solidarität: Eindrücke von der palästinasolidarischen Marschdemo in München am 19. Oktober 2024 [korrigiert am 21.10.2024]

Am 19. Oktober 2024 fand in München eine Marschdemo statt, die u. a. von Uni For Palestine Munich und dem Unikomitee für Palästina organisiert wurde. Wir dokumentieren hier einzelne Eindrücke, die wir von der Demo gesammelt haben.

Auf obigem Bild ist ein Transparent mit der Aufschrift „Namibia Auschwitz Gaza Germany to the Hague“ zu sehen, wobei die ersten drei Wörter in den deutschen Nationalfarben eingefärbt sind. Damit wird unterstellt, in Gaza fände ein Genozid wie in Auschwitz an Jüdinnen*Juden oder in Namibia (ehemals Deutsch-Südwestafrika) an den Herero und Nama statt; gefordert wird, „Deutschland“, also wohl die Bundesregierung, für diese drei Völkermorde vor das Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen. Dass Deutschland für die Völkermorde an den Herero und Nama und an den Jüdinnen*Juden verantwortlich ist, ist bekannt. In Gaza ist jedoch laut diversen Völkerrechtsexpert*innen mehr als fraglich, ob das militärische Vorgehen Israels, das hier angesprochen wird, einen Genozid darstellt. Dass sich auch die Bundesregierung mitverantwortlich machen würde, hängt wohl mit Waffenlieferungen an Israel zusammen. In jedem Fall handelt es sich bei diesem Transparent eindeutig um Holocaust-Relativierung: Auschwitz wird hier auf eine Stufe mit der Situation in Gaza gestellt. Grenzwertig ist auch die Gleichsetzung mit dem Völkermord an den Herero 1904-08, bei dem rund 60.000 Herero und 10.000 Nama vom deutschen Kolonialregime gezielt vernichtet wurden, indem man sie in die Wüste Omaheke trieb und verdursten ließ. Bei aller möglichen Kritik am Vorgehen der IDF stellt dieses keinen Vernichtungsfeldzug dar, sondern einen Selbstverteidigungskrieg gegen eine antisemitische islamistische Terrororganisation: die Hamas.

Apropos Hamas: Solche Aufkleber zirkulierten auf der Demo. Zu sehen ist das rote Dreieck, das seit dem 7. Oktober 2023 von der Hamas und ihren Unterstützer*innen benutzt wird, um feindliche Ziele (hauptsächlich Jüdinnen*Juden, Israelis oder Zionist*innen) zu markieren und mit Gewalt zu drohen. Die Verwendung auf diesem Flyer ist damit ein klares Zeichen der Solidarität mit der Hamas. Eingefasst ins Dreieck ist zudem der Bremer Schlüssel, das Wappenzeichen Bremens, von wo die Aufkleber offenkundig stammen. Der Schlüssel könnte aber auch als Symbol für das eingeforderte Rückkehrrecht der vertriebenen Palästinenser*innen und ihrer Nachkommen stehen, da auf einschlägigen Postkarten das rote Dreieck den entsprechenden Schlüsselbart ziert; womöglich ist eine Doppeldeutigkeit gewollt. Da auf die Nachkommen der palästinensischen Vertriebenen der Flüchtlingsstatus vererbt wurde, gelten sogar viele Menschen als Flüchtlinge, die niemals geflohen sind. Eine Aufnahme der 5,7 Millionen Menschen in Israel würde jedenfalls das Ende des jüdischen Staates bedeuten. Dass dies von israelischer Seite eine inakzeptable Forderung ist, versteht sich von selbst – ebenso dass hinter dieser Forderung der Wunsch nach Vernichtung des einzigen jüdischen Staates weltweit unter dem Deckmal von Humanismus und Asylrecht steckt.

Umgeben ist das Dreieck von der Aufschrift „From Bremen to Gaza Globalize the Intifada“. Mit der Intifada werden zwei palästinensische Aufstände bezeichnet, von denen der zweite zwischen 2000 und 2005 maßgeblich aus Selbstmordattentaten gegen israelische Zivilist*innen bestanden, die von der Hamas organisiert wurden und etwa 700 Todesopfer forderten. Dass ein Aufkleber, der seine Sympathien für die antisemitische Hamas derart offen artikuliert, auf der Demo zirkulierte, zeigt, wie wohl sich Menschen auf dieser fühlen konnten, die die Ermordung von Jüdinnen*Juden zu Methode und Ziel deklariert haben.

Nicht fehlen durfte auf der Demo ein Plakat, das uns bereits auf dem Protestcamp aufgefallen ist und unserer Auffassung nach den Holocaust relativiert. Der Inhalt des Plakats ist in jiddischer Sprache verfasst und lautet: „Mir veln iberlebn zionizm“ („Wir werden den Zionismus überleben“). Es handelt sich um eine Anspielung auf das jiddische Lied „mir veln zey iberlebn“ („Wir werden sie überleben“), das die jüdische Gemeinde von Lublin 1939 in Gegenwart der örtlichen Nazi-Befehlshaber mit Leidenschaft sang, nachdem ihre Mitglieder zuvor von diesen verprügelt wurden: Dadurch signalisierten die Lubliner Jüdinnen*Juden gegenüber den Nazis ihren Willen zum Widerstand und ihre Bereitschaft, sich nicht demoralisieren zu lassen. Im jiddischen Original ist mit „wir“ die jüdische Bevölkerung gemeint, mit „sie“ die Nazis, die erstere überleben wird. Dadurch dass auf dem Plakat „sie“ durch „Zionismus“ ersetzt werden, wird nicht nur die jüdische Nationalbewegung auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus gestellt: Das antizionistische Spektrum selbst identifiziert sich dadurch mit dem jüdischen Schicksal zur Zeit des Dritten Reiches.

Zudem ist noch folgende Parole erwähnenswert, die skandiert wurde: „Zionisten sind Faschisten, Kindermörder und Rassisten!“ Ein Redebeitrag, der auf dem Instagam-Kanal von University for Palestine Munich dokumentiert ist, geht noch weit darüber hinaus: „And we know the truth. Israel is not a Jewish state. It is a zionist state, it is a settler colonial project […] and it is a murderous, genozidal, racist, fascist, evil and the most antisemitic state on the face of the earth today.“ Um sich gegen Antisemitismusvorwürfe abzuschirmen, wird nun der Charakter Israels als jüdischer Staat nicht nur geleugnet, sondern auch noch zum antisemitischsten Staat der Welt umgedeutet. Der Jubel der Menge im Anschluss zeigt, wie wenig es um die Kriegsopfer in Gaza geht und wie sehr um blanken Hass auf Israel und seine gesamte Bevölkerung, der das Jüdisch-Sein pauschal abgesprochen wird. Die getätigten Aussagen sind natürlich sachlich falsch: Rund 74% der israelischen Bevölkerung sind jüdisch und stammen u. a. von Shoa-Überlebenden ab oder von arabisch-jüdischen Flüchtlinge aus dem Maghreb. Zudem ist es Sinn und Zweck Israels, als Schutzraum für Jüdinnen*Juden zu fungieren; ihn zum antisemitischsten Staat der Welt zu erklären, obwohl dort aus gutem Grund Jüdinnen*Juden die Mehrheit bilden, heißt auch, jedweden Antisemitismus, inklusive den rechtsextremen, in den Staaten der jüdischen Diaspora kleinzureden. Auf der Demo werden also in Gestalt geifernder Hetzreden schlichte Fake News und „alternative Fakten“ verbreitet. Und für die überhebliche und bevormundende Art, Jüdinnen*Juden Israels ihr Jüdischsein abzusprechen, müsste ein neues Wort gefunden werden.

Zusammengefasst zeigt die Marschdemo, wie nah beieinander Shoa-Relativierung, Israelhass, Sympathien mit antisemitischen Terrororganisationen, Bevormundung von Jüdinnen*Juden und völlige Realitätsverweigerung bzw. -verzerrung liegen. Wie lange wollen sich Teile der politischen Linken für diese Bewegung noch hergeben?

[Korrektur am 21.10.2024: Ursprünglich haben wir den auf dem Sticker abgebildeten Schlüssel ausschließlich als Symbol für das Rückkehrrecht gedeutet, allerdings ist er dem Bremer Schlüssel nachgebildet; wir haben die Stelle daher umformuliert.]

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